Das Orakel von Antara
sich.
„Vergiss' nicht, deinem Herrn von unserer Begegnung zu berichten!“ mahnte er. „Überbringe Patras die Grüße von Narmes, dem Weinhändler. Du kannst ihm bestellen, dass in meinen Gewölben einige wertvolle Tropfen lagern, die den Gesang einer schönen Maid wohl abrunden würden. Und denke auch an unsere Abmachung! Wir trennen uns hier, denn ich habe mein Haus nicht wie Patras auf dem Palasthügel, sondern wohne immer noch im Händlerviertel.“
Yorn versprach, alles zu beherzigen, und dankte Narmes nochmals mit tiefer Verbeugung für dessen Güte, wie es sich für einen Sklaven geziemte.
Dann bog der Trupp des Moradonen in eine Seiten straße ein. Yorn und seine Gefährten warteten ab, bis sie im Trubel der Straße verschwunden waren. Die vier waren abgesessen und sahen sich mit wachsendem Erstaunen um. Keiner von ihnen hatte je eine so große Stadt gesehen, und besonders Vanea, die ja nur das schweigende Dunkel ihrer kalten Welt kannte, war wie betäubt vom Lärm, dem Getümmel und den aufdringlichen Gerüchen dieses scheinbar riesigen Häusermeers. Aber auch die Männer starrten staunend auf die zum Teil mehrstöckigen Häuser und wunderten sich über die Pracht der mit der beginnenden Dämmerung hell erleuchteten Straße, die sich schnurgerade hinzuziehen schien. Als sie sich ein wenig gefangen hatten, sahen sie sich ratlos an.
„Wie sollen wir hier Schorangar finden?“ Kandon sprach aus, was alle dachten. „Ich habe mir dieses Blooria ja schon groß vorgestellt, aber mit so einem Ameisenhaufen habe ich nicht gerechnet.“
In diesem Augenblick wurde Reven heftig angerempelt. Er stieß gegen Yorn und wandte sich sofort fluchend um.
„Was steht ihr hier im Weg und haltet Maulaffen feil?“ wurde er da auch schon von einem antarischen Sklaven angeranzt. „Habt ihr nichts Besseres zu tun, als andere zu behindern? Macht die Straße frei, denn hier kommt der Herr Plijas. Weg, weg, oder wollt ihr die Peitsche fühlen?“
Erschrocken verzogen sich die Gefährten mit ihren Pferden in die Seitenstraße, in die schon Narmes mit seinem Gefolge verschwunden war. Dann sahen sie, wie auf der Hauptstraße eine von acht Sklaven getragene Sänfte vorbeikam. Vor und hinter der Sänfte liefen je zwei Fackelträger.
„Hochnäsige Bande!“ knurrte Kandon, als sie sich von ihrem Schrecken erholt hatten. „Man müsste sie Höflichkeit lehren!“ Dabei rieb er seine mächtigen Fäuste.
„Dazu ist jetzt nicht der richtige Augenblick!“ besänftigte ihn Reven. „Wir müssen sehen, dass wir so schnell wie möglich von der Straße herunterkommen. Wir wissen nicht, wie man sich in einer solchen Stadt benimmt und würden sehr schnell die Aufmerksamkeit auf uns lenken. Und das können wir am allerwenigsten gebrauchen.“
„Ja, du hast recht!“ stimmte ihm Yorn zu. „Auch mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, durch unser Ungeschick womöglich unbequeme Fragen zu provozieren. Aber was tun wir nun?“
„Lasst mich eine der Frauen dort fragen, wie wir zur Schänke von Schorangar kommen“, schlug Vanea vor. „Ich werde sagen, ich sei noch nicht lange in der Stadt und sei mit einer Botschaft meines Herrn dorthin geschickt worden.“
„Gut, vielleicht klappt das!“ meinte Yorn. „Wir wollen uns ein wenig im Hintergrund halten, während du fragst, damit die Frauen denken, du seiest allein. Ich halte solange die Pferde.“
Vanea schritt auf eine Gruppe Frauen zu, die an einem Steinbecken Wasser schöpften. „Verzeiht, dass ich euch störe“, sprach sie die Sklavinnen zaghaft an, „aber ich bin noch nicht lange in dieser Stadt und habe mich verlaufen. Könnt ihr mir sagen, wo die Schänke von Schorangar ist? Sie soll in dem Teil der Stadt sein, der Streithügel genannt wird. Aber ... aber ich weiß überhaupt nicht mehr, wo ich bin! Seit zwei Stunden irre ich nun schon durch die Straßen, und mein Herr wird mich schlagen, wenn ich zu spät komme ... und dann noch, ohne die Botschaft ausgerichtet zu haben, die er mir auftrug.“
Die Frauen hatten sich Vanea zugewandt und sahen sie nun mitleidig an.
„Armes Schäfchen!“ sagte eine ältere Antarin. „Dein Herr scheint entweder sehr gedankenlos oder sehr boshaft zu sein. Wie kann man nur ein so junges Ding zum Streithügel schicken, und dann noch dazu eines, dass sich hier nicht auskennt!“
„Ja, das ist eine Schande!“ mischte sich eine zweite ein. „Das Kind wird wohl nicht unbelästigt
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