Das Orakel von Antara
dorthin gelangen bei dem Gesindel, das sich dort herumtreibt. Doch du wirst wohl gehen müssen, wenn dein Herr es dir befahl. - Also hör zu! Das Stadtviertel, das du suchst, ist nicht weit von hier.“ Und damit beschrieb sie Vanea den weiteren Weg. „Aber zieh dein Tuch vors Gesicht“, mahnte sie, „damit nicht gleich jeder sieht, wie hübsch du bist!“
„Das wird wohl nicht viel nützen“, meinte eine dritte, „denn die Kerle machen Jagd auf jeden Rock, der sich bei Dunkelheit dort auf der Straße zeigt.“
Suchend blickte sie sich um und gewahrte Kandon, der in der Nähe stand und so tat, als schaue er einem Schuster zu, der im Licht einer Lampe vor seinem Laden an einer Sandale nähte.
„He, du!“ rief sie ihm zu. „Komm doch mal her!“
Kandon tat verdutzt. „Was, ich?“ fragte er. „Meinst du mich?“
„Ja, dich meine ich, du Riesenkerl!“ lachte die Frau. Kandon kam langsam näher.
„Hast du Geld?“ fragte die Frau Vanea.
„Nur ein paar geringe Münzen“, log Vanea. „Mein Herr gibt mir nicht viel.“
„Lass’ sehen!“ forderte die Frau, und Vanea hielt ihr einige Kupferstücke hin. „Na, viel ist es ja nicht“, sagte die Sklavin, „aber für zwei Krüge Kalak wird's wohl reichen. - He, du!“ sagte sie dann zu Kandon. „Hast du Lust auf einen Krug Bier?“
„Immer!“ strahlte Kandon. „Willst du mir einen geben?“
„Du kannst dir einen verdienen“, antwortete die Frau, „aber nur, wenn du das Bier in Schorangars Kneipe trinken willst.“
„Nichts lieber als das!“ antwortete Kandon, der die Wegbeschreibung mitbekommen hatte. „Aber ist das alles, was du von mir willst?“
„Nein, natürlich nicht, du großer Hammel!“ lachte die Frau verächtlich. „Nur, damit du dort hingehst, bekommst du noch kein Geld für Bier. Du sollst das Mädchen hier mitnehmen und ein bisschen auf sie aufpassen auf dem Weg. Du siehst aus wie ein anständiger Kerl, und ich denke, dass man dir die Kleine wohl anvertrauen kann. Willst du ein wenig auf sie achten?“
„Es wird mir ein Vergnügen sein“, antwortete Kandon grinsend, „zumal ich großen Durst, aber kein Geld habe. Aber auch ohne das würde ich so einem netten Ding gern diesen Gefallen tun.“
„Na dann! Worauf wartest du noch?“ fragte die Frau. „Eil' dich, denn das Mädchen hat keine Zeit!“
Schmunzelnd verbeugte sich Kandon vor den Frauen. Dann ergriff er Vaneas Hand und zog sie in der angegebenen Richtung fort. Yorn und Reven folgten in einigem Abstand. An der nächsten Ecke erwarteten Vanea und Kandon sie.
„Das hat besser geklappt, als ich erwartete habe!“ freute sich Yorn. „Vanea, was täten wir ohne dich?!“
„Na, gar nichts!“ sagte Vanea lakonisch.
Lachend zog Yorn sie in die Arme. „Kommt, lasst uns nun eilen. Ich bin froh, wenn wir Schorangar endlich gefunden haben, und außerdem habe ich mächtigen Hunger.“
Sie bestiegen wieder die Pferde, und dank der guten Wegbeschreibung der freundlichen Antarin standen sie eine Viertelstunde später vor Schorangars Schänke.
Das Wirtshaus lag in einem finsteren Viertel, in dem die meisten Häuser schlecht gepflegt und verkommen aussahen. Allerlei seltsames Volk war ihnen auf ihrem Weg bege gnet, doch niemand hatte sie behelligt. Die Schänke lag am Ende einer Gasse und sah selbst im Dunkeln sauber und einladend aus. Die Gefährten sprangen aus den Sätteln, und Yorn bat Kandon, die Pferde eine Weile anzubinden, bis sie Schorangar gefunden hatten. Als sie nun die Tür öffneten, schlug ihnen lautes Stimmengewirr und Gelächter entgegen. Yorn sah sich um. Der große Gastraum war gut besucht, und nur drei der weißgescheuerten Tische waren nicht besetzt. Bunt gemischtes Volk saß auf den langen Holzbänken, vom zerlumpten Gauner bis zum Soldaten der königlichen Wache war alles vertreten. Zwei Mädchen hatten alle Hände voll zu tun, große Krüge mit Kalak und Wein zu verteilen. Hinter der breiten Theke, auf der zwei mächtige Fässer standen, hantierte ein Mann, der Yorn sofort ins Auge fiel. Eisgraues, widerspenstiges Haar fiel in die Stirn eines scharfgeschnittenen Gesichts mit hellen, wachsamen Augen, denen nichts in der Gaststube zu entgehen schien. Der Mann war nur knapp über der mittleren Größe, doch trotz seines Alters schien sein Körper sehnig und geschmeidig zu sein. Die Bewegungen seiner schlanken Hände waren ruhig und kraftvoll, und seine ganze Gestalt
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