Das Paradies
was er macht. Auf jeden Fall lacht er oft. Dann flüstern die beiden. Er sagt, er heiße Markus. »Ich heiße Markus, aber wir kennen uns vielleicht vom Sehen. Ich wohne auch drüben im Viertel, seit letztem Jahr wieder.«
»Ach, wieder?« (Wo war er?)
»Ja, wieder.« (Wohin sollte ich sonst gehen?)
»Irgendwie ist das doch hier sinnlos, oder?« (Ich fühle mich erniedrigt.)
»Hab ich auch gedacht.« (Eigentlich nicht, es ist besser, als zu Hause zu sitzen, auch wenn ich schon programmieren kann, man lernt halt Leute kennen.)
Sie schweigen. Der Lehrer kommt mit einer Tasse wieder rein, aus der es dampft. Er riecht und schließt die Augen. »Hm, ach herrlich, der Kaffee hier. Hab selten so guten Kaffee getrunken.«
»War 88 in den Bau gegangen, da ist es gut, unter die Leute zu kommen.«
(Fünf Minuten später.) »Ach so.« (Sie verbindet verschiedene Assoziationen und Schreckensbilder mit dieser Antwort.)
|51| »Weil ich nicht zur Wahl bin.« (Versteht jemand diese Sinnlosigkeit? Ich nämlich nicht.)
»Ach du Scheiße. Begreife ich nicht.« (Absolute Verblüffung. War das ein Vorwurf?)
»Ja, ich hab’s auch nicht begriffen.« (Sollte ich einen Witz machen, damit es keine unangenehme Stille gibt?)
»Saustaat«, sagt ein Mann neben Markus zu seinem Computer, dreht sich dann zu den beiden hin, und ich sehe sein Gesicht. Er hat rote Pünktchen auf der Nase und rote, gelockte Haare. »War bei den Volkspolizisten. Meistens am Schreibtisch.«
»… Und vergessen Sie bei all der Arbeit nicht, sich auch einmal selbst zu beschenken«, sagt der Lehrer. »Einmal am Tag, heißt es ja, soll man sich etwas schenken: ein Nickerchen im Bürostuhl, ein Stück Käsekuchen oder einen Saunagang. Nun … und was die Agrarreformen angeht …«
Meine Mutter nimmt meine Hand, und wir gehen zur Tür. Zwei andere Frauen folgen. Als wir draußen im Flur stehen, sagen die Frauen, sie wollten nur mal schauen, ob alles in Ordnung sei. Ob sie das mit der Kalkulation auch nicht verstanden habe. Doch, doch, irgendwie schon. Ah ja. Na, und dann habe sie sich so angeregt mit dem Herrn Schlosser unterhalten. Der war doch im Knast. Was hat er denn erzählt?
Wir gehen zum Auto, meine Mutter schließt es auf, da nähert sich von hinten der Lehrer. »Ach, Frau Hünniger, was ich Sie fragen wollte.«
»Huch, ja?« Meine Mutter erschrickt, wirft die Unterlagen in das Auto und dreht sich um.
»Brauchen Sie eigentlich eine Versicherung, also Haftschutz, Haushalts etc. pp.?«
|52| »Ne, also ich weiß nicht, ne, ne.«
»Lebensversicherung? Sie wollen Ihre Kinder doch nicht brotlos… Wenn doch mal …«
»Der Schlüssel ist im Auto. Verflucht!« Meine Mutter versucht die Autotür zu öffnen, es ist ein Opel Kadett, der eine automatische Verriegelung hat, der Knopf ist einfach heruntergeschnappt, und der Schlüssel liegt auf dem Fahrersitz zwischen den Unterlagen.
»… Man weiß ja nie. Zack sind Sie tot, und dann haben Sie den Salat.«
»Wie krieg ich das verdammte Auto jetzt auf? Das ist doch zum Mäusemelken.«
»Was? Auto? Wo hamse den denn her? Eijeijei, ist ja ein Schrotthaufen. Seh ich sofort. Ich könnte Ihnen da ein Angebot machen.«
»Es ist zu.«
»Gut! Autos muss man jetzt abschließen!«
»Nein, der Schlüssel ist drin.«
»Das haben wir gleich.«
Er wühlt in seiner Aktentasche, biegt so eine Art Kleiderbügel zurecht und werkelt am Fenster und am Schloss herum. Der Knopf springt nach oben. »Hundertmal gemacht«, sagt er stolz.
»Ähm, danke«, sagt meine Mutter.
|53| 3. Freiheit
Ich erreiche Weimar, steige am Bahnhof aus und ziehe in ein Hotel. Ein kleines, mitten in der Stadt. Man kehrt zurück in die Heimat, und da, wo Heimat ist, wo man den Blumenmann und die Fahrradfrau sofort erkennt, zieht man in ein Hotel. Ein Fremder, einer auf Besuch, einer mit Kreditkarte. Aus der Backstube Rose am Herderplatz riecht es nach Brötchen, ihre Spezialität sind Kuchen, alles nach alten DDR-Rezepten gebacken, von einem Bäckerpaar, das an sieben Tagen in der Woche trotz schwerer Verbrennungen arbeitet. Ich checke ein. Ich gehe auf das Zimmer, öffne das Fenster. Es ist heiß. Das Badezimmer ist neu. Nirgendwo Schimmel. Es riecht, wie es riecht, wenn man die Werbung von Meister Proper sieht und zu wissen glaubt, wie Sauberkeit und Glanz riechen sollten. Es riecht so, wie man sich den Geruch von Meister Proper Bergfrühling vorstellt. Obwohl ich nicht weiß, wie Bergfrühling riecht. Nicht einmal, wie Frühling riecht. Mir
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