Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
Vom Netzwerk:
er war nie ideologisch, er wollte einfach König sein). Stubendorff macht mit seiner Bewunderung immerhin vor Hitler halt, weil das dann doch ein bisschen zu doll auffallen würde. Er mag alle Diktatoren außer Hitler, so lässt sich das wohl korrekt zusammenfassen, wobei er nie über beispielsweise Honecker oder Ulbricht spricht. Die Namen kenne ich von Familienfeiern und so richtig erst, seit es Internet gibt, weil dort andere Leute drüber Witze machen. Er hat uns auch nie ein Bild gezeigt mit Honecker, dieses Porträt mit dem hellblauen Hintergrund und dem schiefen Lächeln zum Beispiel. Und ich habe oft gedacht, wenn man das einem nicht im Unterricht beibringt, dann ist das so, als hätte es sie nie gegeben – die DDR.
     
    Irgendwann ist das sinnlose Herumgesitze in der Schule vorbei. Und die Freiheit, die sich aus der Abitururkunde ergibt, |84| ist ein so enormer Rauschzustand, dass wir auf der letzten Heimfahrt von der Schule eine wirklich brillante Idee haben. Das heißt, David hat eine Idee, und ich sage: »Gute Idee.«
    Wir gehen zum Gewerbeamt. Jeder von uns sitzt auf einem kleinen, harten Stuhl, und wir schaffen es knapp über einen beigen Schreibtisch hinweg einer gemütlich desinteressierten, dicken Frau zu erklären, was jetzt als Nächstes passieren wird.
    »Wir würden gern ein Gewerbe anmelden.«
    »Haben Sie das Formular ausgefüllt und eine Steuernummer beantragt?«
    »Ja«, sage ich und reiche die Blätter über den Tisch.
    »Um welches Gewerbe handelt es sich denn?«
    »Ich will Pilze verkaufen, die ich aus Holland importiere«, sagt David.
    Die Frau hinter dem Schreibtisch guckt über ihre Brille und grinst. Ich weiß nicht, was es da zu grinsen gibt. »Pilze? Hm.« Sie schreibt in das Formular: »Naturkost (Pilze, Beeren etc.).«
    »Wir verkaufen Stropharia cubensis und Sclerotica tampanensis.«
    »Wie bitte?«
    »Pilze halt.«
    »Also Gastronomie oder Künstler?«
    »Hä?«
    »So, so.« Sie knallt einen Stempel unter ihr Formular. »Und das, glauben Sie, wird funktionieren, dass die Leutchen Pilze kaufen, wo es die doch auch im Rewe gibt und im Wald?«
    »Natürlich, würden wir sonst ein Gewerbe anmelden?«
    »Und warum wollen Sie diese Pilze verkaufen?«
    |85| »Weil etwas geschehen muss. Etwas Monumentales. Die Erstürmung von irgendwas. Einer Stadt, einem Land. Drehen Sie die Lautstärke ihres Kofferradios jetzt hoch, dann reden wir: Sie fragen nach Pilzen? Sie werden die Welt retten, die Menschen aufrütteln, eine andere Wirklichkeit zeigen, reicher machen an Erfahrung, uns einen Porsche verschaffen. Wohin meine Augen blicken, sehe ich nichts als Risse in den Betonplatten, erwürgte Katzen, Spaßbäder, unerklärlich viele aufgeschwemmte Matratzen, noch mehr erwürgte Katzen, Handtücher, Leitz-Ordner … Was sollen wir später Außerirdischen sagen, wenn sie uns fragen, wer wir sind? Eine Generation – Name vergessen –, die von nichts eine Ahnung hatte und ohne Schmerzen friedlich an der Lidl-Kasse einschlief? Was ist eine Lidl-Kasse?, werden sie fragen, und wir werden über Lidl-Kassen sprechen. Aber wir haben eine Idee für den Super-GAU, und die Idee verkaufen wir.«
    Diesen Absatz habe ich natürlich nicht gesagt, höchstens gedacht oder später gedacht, dass ich es gedacht haben muss, oder im Internet gelesen.
    Ich sage: »Weil es einen Markt gibt.«
    Die Frau haut einen Stempel auf das Formular, gibt David den Durchschlag, öffnet einen Leitz-Ordner.
     
    David stellt vorsorglich schon zwei Praktikanten ein, und ich trinke eine Cola. Wenn man ganz langsam läuft, braucht man vom Nationaltheater etwa zwei Minuten zum Laden. Er ist ungefähr 16 Quadratmeter groß. Schreibtisch, Kühlschrank, zwei Praktikanten und der Laden ist voll. Ein Glasschreibtisch mit vielen Schubfächern rundet die professionelle Atmosphäre ab. David druckt Informationsmaterial, seitenweise Anleitungen und Hinweise, Tipps und Warnungen, und legt es aus |86| wie Blutspendehinweise in einer Arztpraxis. Tobi und Blume kommen und sprühen ein extrem kitschiges Bild an die Wand.
    »Magic mushrooms, Verkauf ab 18 Jahren«, steht draußen auf dem Schild, sonst nichts. Ich besuche David täglich und nicke anerkennend, als er mir den vollen Kühlschrank zeigt. Frische Pilze in einer Spezialatmosphäre. Er hat einen Zettel aus dem Internet ausgedruckt, den er ich nenne sie mal Kunden zeigt. Dort kann jeder nachlesen, dass die Pilze erlaubt sind, weil sie nicht getrocknet sind, also als frische Pilze (weder

Weitere Kostenlose Bücher