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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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wollte. Scheint aber auch auf kein Happy End hinauszulaufen.«
    Dann stecken wir uns jeder zwei Bücher ein, als wir von draußen den rasselnden Schlüssel der Schulsekretärin hören, und setzen uns schnell möglichst weit voneinander entfernt auf das Sofa. »Mitkommen«, sagt sie und man kann riechen, dass sie in der Zwischenzeit ordentlich getankt hat. »So was gab’s bei uns früher nicht. Braucht ihr gar nicht zu grinsen. So lang ist das auch noch nicht her.« Wenn sie sich aufregt wie jetzt, wackelt ihr blonder Haarturm. Ihre Frisur ist jeden |76| Tag so gebaut, dass man Angst haben muss, dass sie ihr gleich vom Kopf fällt. Ganz weiß gepudert könnte man sie locker ins 18. Jahrhundert zurückschicken.
    Vor ein paar Jahren hat sie endlich ihren Trabi verschrotten lassen und sich einen weißen, eckigen Golf gekauft. Ich erinnere mich, wie ich in einer Geschichtsstunde, in der es gerade um die Befreiungskriege ging und Stubendorff vor der Tafel gerade »Napoleon ist sogar bis nach Thüringen gekommen« schrie, worauf jemand fragte, ob Waterloo auch in Thüringen liege, worauf Stubendorff mit der Faust in die Luft schlug und sein Kopf ganz rot dabei wurde, so rot, wie er nur wurde, wenn er über die Oktoberrevolution sprach, die wir jedes Jahr durchnahmen – in solchen Geschichtsstunden jedenfalls gucken die meisten auf den großen Kiesparkplatz vor der Schule und beobachten die parkenden Autos. Weil ich so lange auf die Autos starrte, hielt ich es erst für eine Halluzination, aber der weiße Golf rollte ganz langsam, ohne dass jemand am Steuer gesessen hätte, rückwärts aus seiner Parklücke raus und über den Kies Richtung Hauptstraße. Ich tippte meine Tischnachbarin an, sie tippte ihre Nachbarin an, sie den nächsten, und dann beobachteten wir, wie das Auto ganz allmählich rückwärts auf die Hauptstraße rollte und fast einen Grundschüler überfahren hätte, auf die Hauptstraße drauf, Hupen, Verkehr von links und rechts, weiter über den Bordstein auf die andere Seite, in einen niedrigen Holzzaun und schließlich in einen Forsythienbusch hinein, an dem noch ein paar bunte Ostereier hingen. Dann konnte man die Schulsekretärin sehen, wie sie die Treppe zum Haupteingang hinunterfederte und verwirrt in der leeren Parklücke stehenblieb, sich dann umdrehte, suchte und zu ihrem Auto rannte. Das wiederholte |77| sich noch ein paarmal, und wir haben immer sehr darüber gelacht. Aber irgendwann ist auch ein Witz vorbei. Wenn er zu oft wiederholt wird, dann wird es traurig, dann ist das unheimlich.
     
    »In der DDR gab es keine Drogen«, sagt jetzt der Polizist etwas zu laut, lehnt sich zurück, klatscht seine Hände auf den Tisch, als wäre der Tisch einmal die DDR gewesen. »Und höchstens drei Heroinabhängige, die ihr Zeug über den Ostblock bezogen.« Stille. Meine Mutter würde gleich vorbeikommen und mich abholen und von der ganzen Geschichte schon alles wissen, weil der Polizist ja schon alles am Telefon gesagt hat, was es zu sagen gibt. Dann verlässt er den Raum, ich höre von draußen vom Flur, wie er mit jemandem spricht, der nur flüstert. Das klingt irgendwie amüsiert, ziemlich locker jedenfalls, dann gluckst die große Kaffeemaschine, und der zweite Polizist, der bis dahin bewegungslos neben der Tür gestanden hat, gießt Kaffee in zwei Tassen. »Kaffee fertig«, ruft er durch die Tür. Das Gespräch im Gang wird beendet.
    »So.« Der Polizist hustet. »Und weil es drei Heroinjunkies in der DDR gab, von denen einer auch ganz fix den Löffel …« Er lacht grundlos. »Jürgen!« Er dreht sich um, ruft durch die Yuccapalme zu seinem stillen Kollegen, der neben der Tür auf einem Stuhl sitzt und immer noch wartet: »Was passiert, wenn ein Heroinsüchtiger seinen Löffel abgibt?« Ich habe das Gefühl, ich müsse mich noch einmal übergeben. Er dreht sich wieder zu mir, zieht Schleim die Nase hoch: »Also, noch mal. Pass auf, nur weil ihr Kinder denkt, wir alten ausm Osten hätten keine Ahnung. Ich habe Ahnung und weiß, dass das, was du da heute geraucht hast, |78| keine Zigarette war.« Ich sehe in sein faltiges Gesicht und sehe, dass es sinnlos ist, ihm etwas zu erklären. Ich gucke ihn an und denke, dass ihm die ganze Sache sowieso egal ist, ihm wahrscheinlich gerade eingefallen ist, dass es größere Probleme gibt als Marihuana in der Schule, dass er nicht vergessen darf, auf dem Weg nach Hause beim Fleischer vorbeizufahren. Aber irgendjemand muss es ja tun. Die Welt in Ordnung bringen. Im

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