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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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könne ja am nächsten Tag um 12 Uhr vorbeikommen und einen Kaffee mit ihm trinken. Die Lieferung bestaunen, bewundern usw. Zu diesem Zeitpunkt, während unseres Telefonats, saß am anderen Ende der Leitung ein Polizist mit Kopfhörern und notierte: »Lieferung voraussichtlich am nächsten Tag, etwa 12 Uhr.«
    Vor dem Laden saßen später, als ein sogenannter bemannter Kraftwagen vorfuhr, etwa fünf Polizisten, undercover, mit Zeitungen in der Sonne, alle mit schwarzem Kaffee vor sich und jeder an einem eigenen Tisch. Sie saßen seit einiger Zeit täglich vor diesem Kaffee und wir hatten uns an den |92| seltsamen Anblick gewöhnt. Wir grüßten sie voller Hohn, weil ja jeder Depp weiß, dass man keine Zeitung benutzt, um eine Observierung zu kaschieren, und man sieht auch nicht aus wie ein Alien, das versucht, sich wie ein Mensch aufzuführen. Einmal kam ein alter Mann in den Laden und fragte, ob wir wüssten, dass draußen die Stasi säße. Na ja. Als der weiße VW-Bus vor dem Laden hielt, ließen sie ihre Zeitung fallen und nahmen David und den Fahrer des LKW fest.
    Ich schreibe an David, dass ich einmal etwas von einem gewissen Uwe Maeffert gehört habe, einem Anwalt, nein, einem Kettenhund. Einem, dessen Mandanten zweifelsfrei schuldig und zweifelsfrei unschuldig seien. Ob er den Fall von Marianne Bachmeier kenne, die im Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter erschossen habe. Oder den Fall mit dem Säuremörder? Maeffert – der sei der richtige Mann. Einer, wie ich hörte, der die Obrigkeit hasst, das selbstgewisse Justizsystem usw. Fragen kann man ja mal. Irgendwie komme ich auf die Idee, bei einer Zeitung anzurufen und mich als Reporterin auszugeben. Da gebe es etwas zu berichten usw. Ein Redakteur der Thüringer Landeszeitung ist begeistert. Er will, dass ich etwas über das Verfahren schreibe.
    Ein paar Wochen später tippe ich vor dem Gerichtssaal des Amtsgerichts Weimar von einem Bein auf das andere und treffe auf die Mutter von David, und die sagt: »Na dann«, und wir gehen rein, als müssten wir jetzt nach der großen Pause in die Mathestunde.
     
    David grinst und winkt vom Anklagestuhl ins Publikum, während sein Anwalt Uwe Maeffert schon steht, schon die auf dem Tisch liegende Akte durchblätternd, schon bereit. |93| Er hat kurzes, welliges, graues, lockiges Haar, eine silberne Nickelbrille und obwohl er immer sehr vergnügt schien, verfinstert sich seine Miene, als er die schwarze Robe überzieht. Dann schlurft der Richter hinter den Schöffen her, die schon dasitzen, was man jetzt erst merkt, weil sie sich nicht bewegen, wie zwei schlafende Hunde. Der Richter knipst seinen Kugelschreiber. Es ist, glaube ich, so was wie das Klingeln in der Schule, denn Maeffert fängt sofort an: »Ich beantrage die Einstellung des Verfahrens«, sagt er. »In das Betäubungsmittelgesetz sind Pilze noch nicht aufgenommen worden. Da steht, dass pflanzliche oder chemische Substanzen verboten sind. Pflanzen. Pilze sind keine Pflanzen. Pilze sind Pilze.«
    »Für die Masse der Bevölkerung sind Pilze natürlich Pflanzen«, sagt der Staatsanwalt.
    »Nennen Sie das ein juristisches Argument?«, fragt Maeffert.
    »Jeder weiß, dass Pilze Pflanzen sind!«, sagt der Staatsanwalt.
    »Hat die Justiz darüber zu entscheiden oder Wissenschaftler, ob ein Wal ein Fisch oder die Erde flach oder ob ein Pilz eine Pflanze ist?«
    Staatsanwalt: »Sie übertreiben maßlos. Das können Sie in Hamburg machen, aber nicht hier.«
    Maeffert: »Ich beantrage hiermit einen Biologen als Sachverständigen.«
    Richter: »Die Verhandlung wird unterbrochen.«
     
    Maeffert erhebt Einspruch, er unterbricht, verliest Prozesserklärungen, legt Beschwerden ein, liest Beweisanträge und Protokolle vor. Von den ersten vier Stunden, die das Gericht tagt, spricht Maeffert knappe drei. Es ist ein Schöffengericht. |94| Links vom Richter sitzt eine blonde, froh gelockte, kräftige Dame Mitte 50, rechts der Typ Chemielehrer. Beide drehen den Kopf immer fast synchron mal nach links, mal nach rechts. Zur Anklage oder zur Verteidigung. Augen halb geschlossen. Es sieht aus, als seien sie das unbeteiligte Publikum einer Theateraufführung. Manchmal hustet der Chemielehrer und alle erschrecken darüber, dass er noch da ist.
    Nach der Pause sagt der Richter, dass der Biologe als Sachverständiger abgelehnt ist. Maeffert: »Wir sind hier in Weimar. Ich habe in der sehr langen Pause die Zeit genutzt und mir die Gedenktafeln der Justizopfer sowohl unter den

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