Das Paradies
Pflanzen noch chemische Substanzen, die beide laut Betäubungsmittelgesetz verboten sind) verkauft werden. Der Autor verrät, dass nach EU-Gesetz in einem Land nicht illegal sein kann, was in einem anderen Mitgliedsstaat erlaubt ist. Wenn nach dem Satz jemand komisch guckt, sagt David: »In Holland sind Pilze legal, die haben sogar eine Steuernummer, die kann man in jedem EU-Land versteuern. Marihuana ist in Holland ja nicht legal, sondern nur geduldet, deshalb ist es in anderen EU-Ländern möglich, es zu verbieten.« Es hat so einen Laden sonst noch nicht gegeben. Das kam uns für einen Moment schon komisch vor, aber wen interessierte das schon. Das waren jetzt eben die neuen EU-Gesetze. Wir dachten: »Hat im Osten einfach wieder niemand mitbekommen.«
Dass in Holland nicht Marihuana, sondern Pilze offiziell erlaubt waren, erschien mir aus Sicht des Staates absolut nachvollziehbar. Marihuana macht aus deinem Volk einen Haufen von Faulpelzen und Tagedieben, Pilze machen das erst mal nicht, im schlimmsten Fall bessere Menschen.
Nach der offiziellen Ladeneröffnung spielen wir zwei Tage lang Schach auf einem Marmorschachbrett, für das schon |87| einmal befremdlich viel Geld ausgegeben wurde, weil ja sowieso klar ist, dass wir bald reich sein werden. Dann kommt der erste Kunde zur Tür rein. »Was soll das denn hier werden?« Ewig lang dauert das Beratungsgespräch jetzt, ich geh raus, trinke irgendwo einen Kaffee, und als ich zum Laden zurückgehe, kommen mir drei Leute mit den weißen Plastikdöschen entgegen. In den Laden ist in der Zwischenzeit die halbe Stadt eingefallen. Jeder hat einen Flyer in der Hand und diskutiert mit David. So schnell schon ein großer Erfolg: rasanter Umsatz, neue Bestellung. Rasch hat David eine gewisse Routine entwickelt: feste Öffnungszeiten zwischen 12 und 18 Uhr, Flyer, die in fast allen Cafés der Stadt ausliegen. Anwälte, Uni-Professoren, Verkäuferinnen, die Kellner und Restaurantbetreiber, Studenten und ein paar Künstler kaufen in den nächsten Monaten munter ein, für sich, für Freunde, für ihre Frau, für alle zusammen. Allein der Park an der Ilm müsste in diesen Wochen voll von etwas desorientiert herumirrenden und fasziniert auf Lichtquellen zulaufenden glücklichen Pärchen sein.
Wir prüfen das selbst, kauen die Pilze, die nach Erde und Schimmel schmecken und sofort einen Brechreiz auslösen, den man mit viel Disziplin und Wasser in den Griff bekommt, packen einen Rucksack mit Orangensaft, Valium und Zigaretten und laufen Richtung Park. Die Stadt wirkt wie ausgestorben, und in den kleinen Gassen, wo man vergessen hat, Schilder hinzustellen, ist es nicht schwer, sich in eine ganz andere Zeit hineinzudenken. Eine seltsame Kulisse. In der Schule hat man uns beigebracht, wer vor 200 Jahren in Weimar lebte: Sie wissen schon, die Guten jedenfalls. Ich muss an die Bilder des Fotografen Louis Held denken, der das Gartenhaus von Goethe um 1900 fotografiert hat |88| (ich war, obwohl das Unsinn ist, wirklich überrascht, dass es das Einzige ist, was sich wirklich überhaupt nicht verändert hat) und die in schwarzen Roben wartenden Mitglieder der Nationalversammlung 1919 auf dem Theaterplatz. Als ich neulich den Namen googelte, tauchten leider nur die Bilder auf, auf denen Hakenkreuzfahnen zu Tausenden ganz nah beieinander in den Gassen hängen, so als wolle man die ganze Stadt zudecken. Weimar, total verliebt in seinen Adolf, ruft im Chor: »Lieber Führer, komm heraus aus dem Elefantenhaus.« Hunderte Menschen auf dem Rathausplatz jubeln ihrem Führer zu, der vom Balkon des Hotels Elephant zurückwinkt. Das muss schon wahnsinnig gut organisiert gewesen sein. Und ich fragte mich, warum es den Holocaust eigentlich nicht öfter in der Geschichte gegeben hat. Ist offenbar sehr leicht, ein KZ zu verstecken.
»Wir brauchen uns nicht zu verstecken!«, sagt im Herbst der Bürgermeister, wenn er mit dem original Weimarer Zwiebelkranz die neue Zwiebelkönigin auf ebendem Balkon kürt. Die sieht besser aus als Hitler.
Ich wollte da schon immer mal hineingehen. Es würde ja absolut niemanden interessieren, wenn man vor der Tür jetzt eine Demo machen würde wegen Hitler oder der Zwiebelkönigin oder sonst einem Diktator oder Helmut Kohl. Man würde uns dann wahrscheinlich hereinbitten und an einem runden Tisch mit uns diskutieren und sagen, dass es sehr lobenswert sei, dass wir als junge Leute uns engagieren, und dass es zur Jugend gehöre, auch mal zu rebellieren, dass wir
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