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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Spaziergänge wie durch ein Museum, denn: »In unserem Wald wird nix abgebrochen! Auf dem Weg bleiben!«
     
    Wir gehen in einen Saal hinein, in dem Schulbänke zu einer u-förmigen Tafel zusammengeschoben sind, auf der auf einer gelben Papiertischdecke Kuchenplatten stehen. Von draußen schon können wir Egon hören, der vor lauter Reden bereits einen roten Kopf hat. Ich beobachte, wie die um ihn Herumsitzenden, darunter der Pfarrer, etwas zurückweichen, und weiß, warum: weil Onkel Egon, wenn er sich in Rage geredet hat, wirklich unangenehm spuckt. Zumal er hier offenbar schon mehrere kleine Törtchen verspeist hat.
    »Jetzt steht überall, dass die Ostdeutschen alle Neonazis sind. Aber die gab’s doch kaum. Die hatten wir doch im Griff, sag ich. Im Griff. Die war’n doch nicht gefährlich. Wenn da einer was gesagt hat, da war der doch sofort aussortiert. Tanzte einer aus der Reihe, ging – zack – die Gardine zu. Schlüssel rum und Suppe statt Schnaps! Was jetzt für Schmutzkübel |109| über die DDR ausgekippt werden. Das ist eine faschistische Aktion!«
    Eine unangenehme Schweigesekunde tritt ein. »Gefährlich waren doch ganz andere!« Egon wird lauter: »Da sind wir doch nie reingekommen, die haben wir doch nicht gekriegt: diese Kirchenmäuse oder Friedensquatschkreise. Die haben wir nicht knacken können. Und wenn de so willst, das sach ich dir, wenn wir die nicht gekriegt haben, dann wenigstens der Kapitalismus.« Egon starrt in die Luft. Der Pfarrer faltet die Hände. Irgendwie kommt es mir vor, als wäre da etwas durcheinander. Wir waren in der Kirche. Waren wir jetzt auch Kirchenmäuse? Im Kommunismus, sagte mein Vater immer, gibt es keine Kirche, das wäre nur Opium gewesen, was ich jetzt auch nicht verstanden habe. Mein Kopf schmerzt schon. Ich schaue Birgit an. Sie lacht. Sie sagt: »Na, du Kirchenmaus.« Wir lachen. Egon steckt sich einen Kuchen in den Mund, der zwar auf Mundgröße geschnitten ist, aber dort zum Reden nicht viel Platz lässt. »Stasi!«, sagt er und kaut. »Stasi. Das war doch nüscht. Da hammer mal einen eingesperrt. Na und?« Er kaut. »Na und? So läuft’s nun mal. Ist doch heute auch nicht anders.«
    Egon dreht sich halb herum, sieht uns über die Schulter hinweg hereinkommen. »Da is er ja.« Wir setzen uns in Hörweite. Der Pfaffe rutscht nervös auf seinem Stuhl herum. Er hat krauses rotes Haar, sehr voll, ein blasses, von vielen Beerdigungsessen etwas aufgeschwemmtes Gesicht. Er faltet die Hände im Schoß und lächelt die Witwe neben ihm still an. Sie zu ihm: »Wir hatten eben noch über das Wetter gesprochen. Der Fernseher lief, und er hat sich so aufgeregt. Da war Werbepause. Da kam Heike Drechsler mit Waschpulver. Er hat sich noch so gefreut. Wir Ossis auch mal im Fernsehen. |110| Die hat sogar gesächselt. Persil. ›Persil‹, hat sie gesagt, ›richtig sauber, und leuchtende Farben.‹ Wissen Sie, er hat mich gerufen, ich soll mir das mal anschauen, da wäscht Heike Drechsler im Fernsehen ihre Wäsche. ›Jetz is se sauber‹, hat er zu mir gesagt. Das war ein schöner Moment. Er hat sich ausgezogen und sich neben mich aufs Bett gesetzt …« Der Pfarrer unterbricht sie, indem er schnell, aber sanft ihre Hand tätschelt und verständig nickt. »Aber nein, er hatte doch das Unterhemd an. Dann ist er einfach … ›Heike‹, hat er noch gesagt, den Satz hat er nicht mehr zu Ende gesprochen, etwas über Heike Drechsler wollte er sagen, da ist er nach hinten umgekippt und …« Der Pfarrer kneift die Augen zusammen. »Ne, er ist einfach tot gewesen. Bumm«, sagt sie. Sie schüttelt den Kopf. Der Pfarrer schüttelt den Kopf. »Ja«, sagt er leise.
    »Immerhin hat er nicht gelitten«, sagt meine Tante.
    »Nein, Schmerzen hatte er nicht«, sagt die Witwe.
    »Na ja.«
     
    »Peter«, sagt Egon, »was habt ihr da gemacht? Gewinnen hätte man’s doch können. Was war da oben los in der Kampfgruppe?« Egon dreht sich zu den alten Männern, die nicken viel, mein Vater muss etwas lauter sprechen, damit er über mich, Birgit, Michel, über den Pfarrer und die Witwe auch für Egon zu hören ist. »Na ja«, sagt mein Vater. Egon winkt ab: »Im Grunde stand die Mauer zehn Jahre zu lange. Ich bin ja eigentlich froh, dass se weg is. Das Land gehört jetzt wenigstens wirklich uns.« Er lacht ein kurzes, lautes »Ha«.
    »Wir standen ja schon vorher mit der Kampfgruppe oben auf dem Ettersberg, da auf dem Parkplatz von Buchenwald. Da hatten wir trainiert mit der

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