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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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draußen fährt der wilde Osten vorbei. Neben mir mein Anwalt. Was machen wir, wenn wir angehalten werden? Ob ich schon davon gehört habe, fragt Hans, dass das Universum in zwei Milliarden Jahren zusammenkrachen werde. Dann sei sowieso Sense.
    »Weißt du, worum es heute geht?«
    »Ne. Ja. Nicht so richtig.«
    »Mein Freund, der Fürst Dingsbums, mit dem ich übrigens in Göttingen …«
    Hans erzählt von der Inneneinrichtung des Fürstenschlosses und wie der damals noch Prinz von und zu Dingsbums ihm einen ganzen Nachmittag lang vorgeführt hat, wie man auf einer Chaiselongue zu liegen habe, welches Kissen den |139| Nacken und welches den Arm optimal stütze. »Das klingt vielleicht nach enormer Langeweile«, sagt Hans und schaut mich vorwurfsvoll von der Seite an, aber was wolle man machen mit so viel Schloss und, ja, die Ehe, man lasse sich zwar gegenseitig beschatten, sei aber von den Ergebnissen inzwischen auch gelangweilt. Sie sei ja auch eine Schlampe. Die Leidenschaft für eine Chaiselongue, die habe er teilen können. Um es abzukürzen: Ob ich noch zuhöre. Ja! Ob wir den Fürsten mal gleich anrufen sollten. Nicht unbedingt.
    Er wählt am Display im Armaturenbrett (Brett? Leder und lackiertes Wurzelholz natürlich). Es tutet. Kein Prinz. Auch kein Fürst.
    Hans, der Anwalt unseres Viertels, ist bei den Frauen inzwischen noch begehrter. Seine Scheidung ist so langsam durch. Einmal habe ich bei einem Grillfest beobachtet, wie Elisabeth Schneider mit ihm ins Paradies ging. Nach 20 Minuten kamen die beiden wieder zurück. Niemand hat je erfahren, was in den 20 Minuten passiert war. Hans hat das Fernsehen geholt und gezeigt, wie in unserem Viertel ein Sportplatz entsteht, innerhalb eines Tages, Hans geht noch immer gern zum Kiosk und trinkt mit den Männern dort Bier und Schnaps. Er achtet darauf, extrem gut angezogen zu sein. Er hat die Hälfte seiner Mandanten verloren und die andere Hälfte ist pleite. Es sind die großen Baufirmen, die nicht nur ihren Anwalt nicht bezahlen, auch Tischler und Maler und was bei einem Haus noch so nötig ist. Wenn man mit ihm sprechen will, erreicht man ihn selten. Fast alle Verfahren hat er verloren, wir lieben ihn trotzdem. Er ist alt geworden.
     
    Als ich umständlich am Schloss parke, sehe ich die ersten Glühwürmchen in diesem Jahr. Der Gemeindesaal ist voll. |140| Alte Männer, meist Bauern mit Schiebermützen und Blicken wie von hungrigen Bären, sitzen vor einem Rednerpult. Der Prinz steht in einer Ecke, er hat zwei Sekretäre, einen Notar und einen Anwalt mitgebracht. Es gibt schon einiges Geschrei im Publikum, die Diskussion geht los, noch bevor der Bürgermeister zu reden beginnen will. »Soll es denn, liebe Genossen, wieder eine Feudalherrschaft geben«, ruft einer aus dem Publikum, »in der wir Bauern unterdrückt werden? Wir wollen hier keinen Adel. Das Schloss ist unsers.« Das sind, in etwa zusammengefasst, die Worte, mit denen das Publikum den Abend einleitet.
    »Nun is ma gut. Ruhe, meine Herren«, sagt der Bürgermeister. Er habe ein paar Probepackungen Cornflakes mitgebracht, die würden nun erst mal verteilt werden. Er dreht sich um, denn Hans, der Prinz und ich sitzen hinter ihm, und er sagt: »Cornflakes, das ist so ein guter Eisbrecher.«
    Der Bürgermeister räuspert sich und spricht wieder zum Publikum. »Ja nun, wir wollen ganz ruhig miteinander reden.«
    »Es ist genug. Uns steht’s bis hier. Das ist Enteignung!«, ruft einer aus der Menge, nicht zu orten. Egon setzt sich händeschüttelnd zu den Bauern.
    Ich suche mir einen Platz, gehe an der Schrankwand entlang, die im Gemeindesaal steht. Silberne Pokale und Kelche stehen darauf. Ich ziehe im Vorbeigehen den Zeigefinger der linken Hand darüber und wische ihn an meiner Hose ab.
     
    Weiter hinten im Saal stoße ich auf ein Bild von Erich Honecker. Was hat sein Bild, und zwar das Porträt mit hellblauem Hintergrund, mit den blassen Farben, wo Hemd und Gesicht verschmelzen, hier zu suchen? Es hängt über |141| einer schönen lackierten Biedermeier-Kommode. So ziemlich auf Augenhöhe. Ich sehe dem Mann direkt in die Augen. Das sind die Augen, denke ich, die in diesem Moment einen Fotografen sehen. Das Gesicht ist völlig ausdruckslos. Es wirkt künstlich. Denkt einer in so einem Moment? Was? Es ist unheimlich. Einige Flecken unbestimmter Herkunft liegen auf seinem linken Brillenglas. Es gab eine Zeit des Sozialismus, da hatte er so etwas wie Glanz. Glamour, wenn man so will. Da besuchte Margot

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