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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Honecker Paris, trug Ballkleider und ging in die Oper. Glamour hat für mich nichts Künstliches. Aber dieses Bild von Honecker ist künstlich. Ein Mann starrt in die Kamera, völlig ausdruckslos, total neutral, total tot.
    »Sie haben hier was vergessen«, sage ich zu einem der Männer.
    »Ne, ham wir nicht vergessen.« Er lacht. »Das ist so ein Scherz, die Gäste finden das immer lustig, kommen ja viele von drüben.«
    Das ist Ironie im Osten. Wie im Zoo. Er zeigt mir einen Trabi-Schlüsselanhänger. Ob ich einen kaufen will. Ne, danke. »Wird sonst viel gekauft. Vor allem junge Leute mit Turnschuhen. Aus Bochum und so.«
    »Das Schloss wird nicht verkauft«, brüllt Egon, was sonst gar nicht seine Art ist. Die Fenster sind geschlossen. Es wird heiß und laut im Saal. Das Publikum hebt die Fäuste. »Weg mit dem König.«
    Nach dieser Versammlung, die im selben Ton noch eine Weile so weitergeht, stehen Prinz, Hans und ich draußen. Rauchen. Ich muss die ganze Zeit auf die Krawatte des Prinzen schauen, die zur Hälfte in der Weste steckt. Darauf sind Rosen, weiße und rote auf dunkelblauer Seide. Nie seither |142| eine schönere gesehen. »Die Stadt hat gerade von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht«, sagt Hans, »Und die Bauern hier schießen das Geld vor. Plötzlich. Arschlöcher.«
    Der Bürgermeister huscht an uns vorbei, er öffnet die Tür seines silbergrauen Audis und ruft uns vom Parkplatz zu: »Komme nie mit leeren Händen, bleibe nie länger als zwei Minuten.«
    »Er will richtig in die Politik gehen«, sagt Hans.
    »Hätte ein schönes Weingut werden können, wir probieren es weiter«, sagt der Prinz.
     
    Eigentlich verfällt das Schloss schon eine Weile. Es befindet sich in keinem guten Zustand. Ein schlechtgehendes, schlechtes Wirtshaus ist in das Erdgeschoss hineindekoriert. Schön ist nur die Fassade, im Innern des Schlosses bröckelt der Putz von den Wänden. Die Steintreppen sind so abgenutzt, dass man darauf Ski fahren könnte, abschüssiges Gelände. Die oberen Etagen sind kalt und leer. Der Prinz, aus einem alten Fürstentum in Niedersachsen stammend, stand kurz vor dem Abschluss eines Kaufvertrags, um ein Weingut, ein anständiges Restaurant und die notwendigen Renovierungen in Gang zu setzen. Aber plötzlich hat sich Widerstand geregt. Das Gut, bisher im Besitz der öffentlichen Hand, wollte niemand kaufen. Die Kosten sind sehr hoch. Auch ein schöner Park ist dabei, schlecht gepflegt, aus dem 18. Jahrhundert. Hans besichtigt die erste Etage und überlegt, seine Kanzlei in das Schloss zu verlegen. Den Wirt des Restaurants nennt er einen besonderen Menschen und meint damit einen, der viel trinkt. Wir sitzen noch eine Weile mit ihm zusammen. Er erzählt, dass die Bauern hier die eigentlichen Wendegewinner sind. Alles ehemalige |143| LPG und sonst was SED-Wursthändler. Haben das Land nach der Wende aufgeteilt.
    Man sehe es ihnen ja nicht an. Aber denen gehöre hier alles. Die schimpften auf den Wessi und dabei gebe es hier weit und breit keinen Wessi. Jeder Zweite sei hier Millionär. Im Handelsregister könne man das nachsehen, wie viele hier stille Gesellschafter seien, immer mit mindestens 50   000 dabei. Das Schloss kauft die Stadt nicht mit eigenem Geld. Es ist das Geld der Bauern. Wie viel Schotter hier liege, das wolle man gar nicht wissen. Die verhinderten, sagt der Wirt, dass etwas Anständiges mit dem Schloss geschehe. Traurig.
    Der Prinz prostet mit einem großen gezapften Pils dem Wirt zu. Cheers.

|145| 7. Glaube
    Zu Gott fällt mir nichts ein. Ostdeutschland ist aber voll von Kirchen. In der Grundschule wurden Zettel verteilt. Zwei Drittel der zweiten Klasse, es war 1993, kreuzten an, evangelisch zu sein. Man hätte noch »katholisch« ankreuzen können oder »gar nichts«. Für »jüdisch« war kein Kreuzchen vorgesehen. Ich glaube, weil niemand geglaubt hat, dass es hier noch Juden gibt. Und ohne Kästchen, auf dem man ein Kreuz machen kann, gibt es sie dann auch nicht. Meine Mutter hat das der Klassenlehrerin gesagt, und die hat gesagt, dass ihre Kinder dann am besten den »Ethikunterricht« besuchen sollten. Damals hatte ich keine Ahnung, warum meine Mutter ein Kästchen für die Juden auf dem Zettel vermisste, sie erzählte es uns erst viel später. Da nur die Familie meines Vaters in Erscheinung trat, war das, was ich wusste, dass dieser Teil der Familie in Kirchen rennt. Zu Weihnachten hauptsächlich.
     
    Und es gibt Volkshäuser. Da feiern wir Fasching, Kirmes mit

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