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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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fanden Sie es denn hier?«, fragt der Lehrer in die Gruppe der Asiaten hinein. »Schön, sehr schön ist es hier«, sagt eine Frau in gebrochenem Deutsch. »Woher kommen Sie?«, fragt sie.
    |136| »Na von hier«, sagt David.
    »Aus Weimar«, sage ich.
    »Ach wirklich? Ihr zwei seht gar nicht so aus.«
    Ich schaue David an. Er schaut mich an. Er zieht die Hose etwas hoch. Ich klopfe einen Fussel vom Pullover.
     
    Einige Wochen später betritt ein Mann das Klassenzimmer. Er hat einen grauen Anzug an und ein weißes Hemd. Er ist groß und schlank und hat eine Frisur. Er sagt, er kommt von der Friedrich-Naumann-Stiftung und wir können hier unsere Adresse eintragen, und dann bekommen wir Informationsbroschüren darüber. Heute sei er gekommen, um uns über die DDR aufzuklären. Unsere Klassenlehrerin nimmt in der ersten Reihe Platz.
    »Wer kennt die Stasi?«
    Drei melden sich. In den nächsten zwei Stunden hören wir, dass an der Grenze Menschen erschossen wurden. Das wusste ich nicht. Er berichtet von zwei Jungen, die die bescheuerte Idee hatten, nachts mal an die Grenze zu laufen, um einfach mal zu gucken, was da so los ist. Einer von ihnen wurde erschossen. Es gab Selbstschussanlagen und Abhörmethoden. Irgendwie sind alle geschockt. Mehr über die Tatsache, dass es uns keiner so deutlich gesagt hat bisher. Es war so peinlich, dass wir später so taten, als wäre das alles nichts Neues gewesen. Aber unsere Lehrer haben wir ab dem Zeitpunkt anders angesehen.
    Er schließt seinen Vortrag: »Wenn auch noch in zehn Jahren kein Schulunterricht die Vergangenheit der DDR behandelt hat, dann hat die DDR für diese Generationen nie existiert.«
     
    |137| Hans sehe ich erst viele Jahre später. Er rief mich an und sagte mir, dass es einen Skandal gebe, den ich mir schon aus Unterhaltungsgründen unbedingt ansehen müsse. Es ist der 1. Juni. Bei meiner Mutter hole ich zuerst mein Kindertagsgeschenk ab (darauf bestehen wir alle gleichermaßen, auch nach Volljährigkeit). Bis heute gratuliert mir nämlich meine Mutter zum Kindertag. Das ist also der 1. Juni. Ich kann mich an den Kindertag besser erinnern als an meine Geburtstage. Die Geschenke sind klein, besonders und praktisch. Fußball, Technokassette, Werkzeugkoffer. In diesem Sommer fahre ich nach Weimar und bekomme den alten Samowar, den mein Vater aus Russland mitgebracht hat. Ich habe darum gebeten, auch aus Angst, er würde irgendwann weggeworfen werden. In meiner Wohnung in Berlin gibt es keine Küche. Ich kann nicht kochen, außer Tee und Kaffee. Ich nehme den Samowar und fahre dann wieder in die Innenstadt, dort warten Hans und Onkel Egon auf mich. Sie hassen sich inzwischen. Wenn sie sich sehen, der Frauenschwarm aus dem Westen und der ehemalige Funktionär, ist es, als würden sich Terminator und X-Man treffen: Jede Liebkosung kann auch ein Tötungsversuch sein. Aber heute sind sie eine Fahrgemeinschaft. Denn im Osten, habe ich jedenfalls oft erlebt, wird eine persönliche Beziehung den äußeren, praktischen Zwängen untergeordnet. Und das, obwohl sie es zusammen geschafft hatten, das Land neu zu ordnen. Hans und sein schwarzer E-Klasse-Mercedes mit beige-, also champagnerfarbenen Ledersitzen, weich, zugemüllt mit dicken Kommentarbänden zur Straßenverkehrsordnung, Schriftsätzen, Leitz-Ordnern, Pappkartons von McDonald’s (Big Macs, die wir vorhin beim Drive-in bestellt haben, lachend, große Coke). Es riecht seltsam (kommt vom Big Mac, nehme ich an). Alte Milchpackung unterm Sitz, |138| checke das Ablaufdatum, schiebe die Packung wieder unter den Sitz. Auf dem Rücksitz: drei gebügelte weiße Hemden, eine geplatzte Packung Druckerpapier, ein dunkelblaues Sakko mit goldenen Knöpfen. Zusammengenommen: niedliches Chaos. Schönheit. Bernie trägt den Samowar wie eine Zuckertüte und sitzt hinter dem Beifahrer zwischen den Papierbergen, halb auf einer leeren braunen Papphalterung für zwei Coffee-to-go-Becher. Er beobachtet den Tachometer. Unser Ziel ist ein Dorf, das zweimal am Tag von einem Bus angesteuert wird, morgens 6 Uhr 30 und am Abend um 18 Uhr 30.
    Heute ist Sonntag, und am Sonntag fährt der Bus gar nicht. Hans nimmt auf dem Beifahrersitz Platz und zündet sich umständlich eine Zigarette an. Bernie fordert, das Fenster zu schließen, ihm zieht’s. Er hustet und schlägt den Kragen hoch.
    Damit jeder sehen kann, dass die luxuriöse Luxusausgabe der Luxusklasse von supercoolen Leuten gefahren wird, leg ich das linke Bein über das Armaturenbrett. Und

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