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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hünniger
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Besonderes.
    Der Hof liegt in einem Dorf: Zwei Straßen, Friedhof, Kirche und eine Kneipe gibt es, mit Saal dahinter, für alles, was anliegt zwischen Geburt und Tod.
     
    |154| An Stalingrad, sagt mein Großvater, kann er sich nicht mehr erinnern. Auch nicht an die Gefängnisse. Er redet nicht gern darüber. An einem Nachmittag hat mein Vater am Tisch trotzdem gefragt. Er solle doch einmal den Enkeln erzählen, wie das war: Krieg, Stalingrad, Gefangenschaft. Birgit verdreht die Augen. Michel muss lachen.
    »Ja, ach, nö, Peter«, beginnt er, »in Stalingrad sind die Toten am Boden festgefroren. Und als sie uns geschasst haben, sind die meisten verreckt, weil’s nüscht zu fressen gab. Oder wenn du zum falschen Zeitpunkt gefurzt hast.«
    »Ich glaube, das reicht«, sagt meine Mutter.
    »Du, Opa, Buchenwald ist doch gleich hier hinter dem Wald, wie kann man da nichts merken?
    »Aufn Buchenwald ist ja keiner hingegangen, da war was, das wusste man schon. Arbeitslager für Diebe, Kommunisten, mehr konnte ja keiner wissen, weil: Wer da in die Pilze gegangen ist und zu nah dran kam, wurde sofort gekascht.«
    Dann erzählt er eine Geschichte, in der er Adolf getroffen hat. Mein Großvater war Chef der LPG. Es gibt ein kleines Bücherregal, es steht ganz weit hinten in der Ecke der Diele. Da steht ein dickes Lexikon über Abzeichen und Orden, Bildbände zu Stalingrad, verschiedene Bildbände: Bildband
Der II. Weltkrieg
, Bildband zu Adolf Hitler, Bildband
Panzer im II. Weltkrieg
, Bildband
Der Nationalsozialismus in Bildern
, daneben die Musikkassetten von den Flippers und viele CDs mit lachenden blonden Frauen, die immer Marianne heißen und ein Dirndl tragen.
    Im Krieg waren nur noch Frauen auf dem Hof. Das muss schon ein seltsames Bild gewesen sein: im ganzen Dorf nur Frauen. Bis die Russen kamen.
     
    |155| Sie sagten, dass da endlich ihre Befreier gekommen seien. Die Deutschen müssen immer befreit werden. Also, sie sagten erst hinterher, dass sie befreit werden mussten, auf Rettung warteten vor dem Tyrannen.
    Als die russische Armee gerade das Dorf befreite, da sahen die Offiziere den Bauernhof. Und zogen da ein. In die gute Stube, gaben von dort ihre Kommandos. Man habe so seine lieben Sorgen mit denen gehabt. Die Stube sei ja sonst nur am Sonntag genutzt worden. Die Russen hätten ja noch nicht einmal die Schuhe ausgezogen. Die Russen hätten alle Vorräte für den Winter aufgegessen. Die Russen hätten sich überhaupt nicht benehmen können.
    Nach den Russen kam die DDR und alle wurden Kommunisten. Großvater leitete die LPG, hatte beste Drähte in die Partei. War fleißig. Aber die Kinder wurden alle getauft und am Sonntag gingen alle in die Kirche. Als der Sozialismus wieder eingepackt wurde, da gehörten meinem Großvater plötzlich Hunderte Hektar Wald, Feld, Wiese.
    Wir knüpfen jetzt gern an andere Zeiten an. Deutsch? Das ist Bauhaus. Deutsch? Golden Twenties in Berlin. Deutschland? Einig Mutterland. Ausrutscher passieren.
     
    Großmutter kommt an diesem Morgen aus dem Haus gelaufen. Ich spiele im Hof mit dem Jagdhund. Er will nicht hören. Er will nicht durch den Reifen springen.
Ball and chain.
    Sie winkt mich zu sich. Wir gehen den Hügel hinauf zum Friedhof. Es ist das einzige Ziel im Dorf, außer der Kneipe. Der Konsum hat geschlossen. Neben dem Friedhof steht die Kirche. Schlau ist das, alles auf einen Fleck zu packen. Ein Spielplatz ist da auch, der hat eine Schaukel.
    |156| Großmütter machen sich immer Sorgen. Meine Großmutter spielt Lotto. Am Abend schaut sie fern, um zu sehen, ob sie gewonnen hat. Ganz unauffällig, während sie Großvater ein Brot schmiert und die Rinde abschneidet, weil dem Stalingrad-Großvater die Rinde zu hart ist. Dann gibt sie Opa eine Spritze mit Morphium und er schläft.
    Auf dem Friedhof nimmt sie eine Gießkanne, füllt Wasser hinein, schleppt sie zu einem großen Grab aus grauem Stein, rupft Unkraut raus, gießt die Stiefmütterchen. »Wenn du stirbst«, sage ich, »kann ich deine Kommode haben?«
    Vom Friedhof geht meine Großmutter in die Kirche, um eine Kerze anzuzünden und den lieben Gott um Gesundheit und die richtigen Lottozahlen zu bitten. Ich warte vor der Kirche, rupfe Löwenzahn, irgendwo steht da etwas auf Latein, das wirkt bei jedem, der es nicht versteht.
    Großmutter hofft auf die Lottozahlen, und sie hofft auf den lieben Gott, und beides bedeutet hier das Gleiche, nämlich gar nichts. Und im Ernst: Ich glaube nichts. Wer glaubt denn? Hörst du eine

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