Das Paradies am Fluss
eins ist. Seine Mutter wirkt freudig erregt, aber nervös, und sie schaut an Oliver vorbei, als fürchtete sie, Tom könne ihm ins Haus gefolgt sein.
»Oh, Schatz!«, ruft sie sofort. »Gemma hat angerufen. Sie kommt nächste Woche mit den Zwillingen nach Hause. Sie sagt, sie ist es leid, mit Guy, der einfach tut, als wäre nichts, über die Scheidung zu diskutieren, und sie hat sich furchtbar mit Mark gestritten.« Cass zieht Oliver in die Küche und schließt die Tür. »Dein Vater ist völlig außer sich«, erklärt sie. Sie spricht schnell, umfasst immer noch seinen Arm und behält mit einem Auge die Tür im Blick. »Er findet, dass wir uns stillschweigend mit der Trennung einverstanden erklären, wenn wir ihnen erlauben hierherzukommen. Doch wohin soll sie sich sonst wenden? Sie hat hier keine richtigen Freunde, und wir müssen an die Zwillinge denken. Tief im Herzen hat Tom nicht geglaubt, dass sie Guy wirklich verlassen würde. Er dachte, das wäre nur einer ihrer Einfälle und dass sie darüber hinwegkommt. Seiner Meinung nach ist es absolut verantwortungslos von ihr, sich so zu benehmen, obwohl sie keine Pläne oder Vorkehrungen getroffen hat.«
Sanft macht er sich los. »Und was denkst du?«
Mit einem Mal wirkt sie verängstigt. »Ich weiß es nicht mehr. Natürlich möchte ich Gemma und die Zwillinge näher bei mir haben, als sie es in Kanada sind, und ich will, dass sie glücklich ist; doch ich wünsche mir nicht, dass ihre Ehe scheitert. Guy ist nicht wirklich mein Typ, dazu ist er seinem Vater zu ähnlich; aber er ist gut zu Gemma und den Zwillingen gewesen. Deine Schwester hat es ihm auch nicht gerade …« Sie zögert und sucht nach einem Wort, das nicht allzu unverblümt ist. »Leicht gemacht«, sagt sie schließlich.
Oliver lacht. »Ich dachte, es ginge eher darum, was meine Schwester getan hat. Hat damit nicht der ganze Ärger angefangen?«
Einen Moment lang starrt Cass ihn an. Er sieht, dass sie nicht genau weiß, ob sie sich stellvertretend für Gemma empören oder sich amüsieren soll – und dann lacht sie ebenfalls.
»Aber ganz ehrlich«, sagt sie. »Was in aller Welt soll ich tun?«
»Sie zu Hause willkommen heißen und ihr Luft zum Atem lassen«, erklärt er. »Mach keine große Sache daraus. Was hat sie den Zwillingen erzählt?«
»Nicht die ganze Wahrheit. Sie hat gesagt, dass sie wieder hierher ziehen und dass Daddy nachkommt, sobald er kann. Momentan haben sie einfach das Gefühl, lange schulfrei zu haben.«
»Schön. Dann lass sie weiter in dem Glauben!«
»Aber was ist mit Tom? Du weißt doch, wie er sein kann.«
Darüber denkt Oliver nach. »Es ist ein Jammer, dass Jess ausgerechnet jetzt auftauchen musste«, meint er gedankenvoll. »Gemma und die Zwillinge hätten in der Chapel Street wohnen können.«
»Aber ich möchte sie hier haben«, protestiert Cass. »Wir haben sie seit Monaten nicht gesehen. Wie ist sie übrigens?«
»Jess? Sehr hübsch. So eine Art Späthippie. Starke Persönlichkeit. Hör mal, ich finde trotzdem, dass wir Gemmas Aufenthalt anders sehen sollten, nämlich als Chance für sie und Guy, ihre Probleme einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mach aus einer Krise kein Drama!«
Ein vielsagendes kurzes Schweigen tritt ein.
»Großartig«, murmelt Cass. »Sagst du deinem Vater das, oder soll ich?«
Als Jess sich auf die Bettkante setzt, sich die Haare bürstet und über ihren Tag nachdenkt, sieht sie, dass Kate das Bild auf einem speziell dafür angefertigten, kleinen hölzernen Gestell auf die Kommode neben ihrem Bett gestellt hat.
Ein Zeichen oder Omen. Danke für alles. Es war vollkommen.
Jess sieht das Bild an und hat das Gefühl, an der Schwelle zu etwas sehr Geheimnisvollem und Bedeutsamem zu stehen. Sie ist gerührt über die herzliche Begrüßung und darüber, wie sehr sie sich zu Hause fühlt. Es ist wirklich so, als hätten Kate und Oliver sie schon immer gekannt. Sie akzeptieren sie und sorgen beinahe beiläufig dafür, dass sie sich unbefangen fühlt, während sie sie gleichzeitig als etwas Besonderes schätzen. Sie hat schon ihren zwei besten Freundinnen, die zusammen in Thailand unterwegs sind, SMS geschrieben, um ihnen mitzuteilen, dass sie angekommen ist. Jetzt nimmt sie ihr Handy, schaut darauf und überlegt, ob sie versuchen soll, ihnen zu erklären, wie toll hier alles ist.
Aber wie soll ich die Weiträumigkeit und Stille des Moors beschreiben, über das Kate und ich gegangen sind?, fragt sie sich. Flossie rannte vor
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