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Das Paradies

Das Paradies

Titel: Das Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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die Ägypter nicht. Sie liebten ihre neue Einheit und Freiheit. Sie berauschten sich am nationalen Stolz. Der Held dieser seltsamen vielschichtigen Revolution war Nasser, und die Ägypter liebten ihren Helden. Nassers Bild stand in den Schaufenstern, klebte auf den neuen Kiosken, an Plakatwänden, sogar auf der Markise des Kairo-Roxy gegenüber von Ibrahims Praxis. Nassers lächelndes Gesicht befand sich neben dem Filmtitel. Auf der anderen Seite strahlte das Gesicht eines anderen Helden: John F. Kennedy, der amerikanische Präsident. Die Menschen im Mittleren Osten liebten ihn, weil er die Welt auf die von den Franzosen gefangengehaltenen und gefolterten Algerier aufmerksam gemacht hatte, die heroisch um ihre Freiheit kämpften.
    Ibrahim blickte auf die Passanten, die sich auf der Straße drängten und den Verkehr behinderten. Es waren viele Angehörige der »neuen« Aristokratie darunter: Offiziere mit ihren Frauen. Die Paschas mit dem Fez waren aus dem Stadtbild verschwunden. Die neuen Herren Ägyptens trugen Uniformen und waren in Begleitung von Frauen, die sich wie amerikanische Filmstars kleideten. Diese neue Klasse war überheblich und selbstbewußt. Man sprach geringschätzig von dem alten, abgelösten Adel, strömte jedoch zu den Auktionen, wenn der Besitz der aus dem Land Vertriebenen zum Verkauf stand. Die Frauen der neureichen Offiziere kauften Porzellan und Kristall, Möbel und Kleidung der ehemals mächtigen Familien. Je berühmter und »älter« der Name, desto begehrter waren die Gegenstände. Ibrahim fragte sich manchmal, was aus dem Besitz der Raschids geworden wäre, wenn er im Gefängnis hätte bleiben müssen, oder wenn man ihn hingerichtet hätte, oder wenn sie Ägypten verlassen hätten, wie Freunde es ihm rieten. Würde der Schmuck seiner Mutter, der sich seit mehr als zweihundert Jahren in Familienbesitz befand, jetzt eine dieser Frauen mit hohen Absätzen schmücken? Würden Nefissas Pelzmäntel von einer Frau getragen werden, deren Vater Schafskäse herstellte?
    Ibrahim dankte Gott, daß er wegen seiner Mutter und seiner Schwester das Land nicht verlassen hatte, nachdem die Unsicherheit und Angst der ersten revolutionären Jahre überstanden waren, denn inzwischen lebten die Raschids in neuem Wohlstand. Trotz der Beschlagnahmung der großen Ländereien und der Verordnung, daß jemand nicht mehr als 200  Morgen Land als Grundbesitz haben durfte, war es Ibrahim und anderen seiner Klasse gelungen, das Gesetz durch eine technische Formalität zu umgehen, denn es hieß, jedes Familienmitglied darf 200  Morgen besitzen. Da die Raschids eine große Sippe waren, hatten sie kaum etwas von den Baumwollplantagen verloren. Und so lebten Khadija und die anderen Frauen immer noch mit ihren Dienstboten, dem Schmuck und den Autos in seinem großen Haus. Das erfüllte Ibrahim mit Dankbarkeit.
    »Dr. Raschid?«
    Er sah im Fensterglas das Spiegelbild der Frau. Sie lag wartend und auffordernd im Bett und lächelte ihn an. Aber er wollte nichts mehr von ihr. Sie sollte ihr Geld nehmen, und dann würde er sie nie wiedersehen. In der nächsten Woche nahm er sich eine neue Prostituierte. Hassan schüttelte oft den Kopf über seine Huren. »Warum bezahlst du, wenn du eine Frau haben willst?« sagte er. »Nicht wenige deiner Patientinnen würden gerne mit dir schlafen, auch wenn sie verheiratet sind. Mein Freund, du bist verrückt, alle Angebote auszuschlagen. Du sitzt an der Quelle und darfst trinken, aber du ziehst abgestandenes, schales Wasser vor, das dich vergiftet.«
    »Du mußt jetzt gehen«, sagte er, »ich erwarte eine Patientin.«
    Er beobachtete im Fenster, wie sie sich anzog, den ausladenden Körper in einen engen Rock und den roten Pullover zwängte, die hochgesteckten Haare frisierte und vor dem Ankleidespiegel den Lidstrich der grell geschminkten Augen nachzog. Ibrahim hatte nicht gelogen. Er erwartete tatsächlich eine Patientin. Aber er hatte sie bewußt um diese Zeit bestellt, um die Prostituierte wegschicken zu können, ohne daß er lügen mußte. Außerdem war es nicht ungewöhnlich, daß so spät am Abend noch Patienten kamen. Dr. Raschids Praxis ging so gut, daß er zu jeder Tageszeit Termine machte.
    Nach der Entlassung aus dem Gefängnis hatte Ibrahim zwei Jahre ein ruhiges, beinahe zurückgezogenes Leben geführt. Er war nicht ausgegangen, hatte auch seine alten Freunde nicht besucht, sondern sich mit seinen medizinischen Büchern beschäftigt, bis er das Wissen seiner Studienzeit

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