Das Parsifal-Mosaik
gestern gewartet hat, dann würde ich wahrscheinlich beides haben. Er sagte, er würde das Ergebnis erst am >späten Vormittag< wissen. Das bedeutet, daß er etwas erwartete, das ihm mehr über den Aufenthaltsort eines Mannes verraten würde, den Beweis, daß irgend jemand aus dem vierten Stock nicht dort war, wo er hätte sein sollen. Die Sicherheitsabteilung sagt, Bradford hätte kurz vor halb eins ein Paket erhalten, aber nie mand weiß, was es war. Und natürlich war es später dann nicht mehr da.«
»Hatte es keinen Absender? Einen Firmennamen vielleicht?« »Wenn es so etwas gab, dann hat niemand es bemerkt. Das Paket wurde durch Boten gebracht.«
»Dann mußt du die Firmen überprüfen, die solche Dienste anbieten. Jemand muß sich doch an die Farbe der Uniform erinnern, und damit könnte man die Suche schon einschränken.« »Jetzt bist du auf dem Holzweg. Es war eine Frau in einem Tweedmantel mit Pelzkragen, und das einzige, woran der Wachmann sich erinnert, ist, daß sie für jemanden, der Pakete abliefert, ziemlich aufgedonnert war.« »Aufgedonnert?«
»Nun, aus seiner Perspektive bedeutet das wahrscheinlich attraktiv, auffällig gekleidet.« »Klingt nach einer Sekretärin.«
»Ja, aber wessen Sekretärin? An wen hat Bradford sich gewandt? Was für eine Art von Beweis hat er gesucht?« »Wie groß war das Paket?«
»Der Wachmann, der es in Empfang nahm, meinte, es sei ein großer, ausgepolsterter Umschlag gewesen, mit einer Ausbuchtung unten und ziemlich dick. Drinnen war Papier und noch etwas.« »Papier?« sagte Jenna. »Zeitungen vielleicht? Ob er sich wohl an eine Zeitung gewandt hat?«
»Könnte sein. Vielleicht hat er Artikel aus der Zeit vor vier Monaten angefordert, die Ereignisse während jener Woche beschreiben. Oder er könnte sich Daten vom CIA beschafft haben; er hatte Freunde dort. Alles mögliche könnte er überprüft haben: Krankenhäuser, Skihütten, die Buchungsunterlagen für einen Urlaub in der Karibik, Unterschriften auf Speise- und Getränkequittungen.« Havelock lehnte sich im Sessel zurück und faltete die Hände unter dem Kinn. »Unser Mann ist gut, Jenna. Er tarnt sich perfekt.«
»Dann solltest du zu etwas anderem übergehen.« »Das tue ich auch. Ein Mediziner in Maryland, der angesehenste Arzt von Talbot County.« »Mikhail?« »Ja?«
»Vorhin ... hast du Berichte über deine eigene Therapie in der Klinik gelesen.« »Woher weißt du das?«
»Du hast immer wieder kurz die Augen geschlossen. Was da stand, muß sehr hart für dich gewesen sein.« »Allerdings.«
»Konntest du etwas daraus entnehmen?«
»Nein. Sie haben deine >Exekution< und meine Reaktionen darauf beschrieben.«
»Darf ich die Berichte sehen?«
»Ich wünschte, ich wüßte einen Grund, dich daran zu hindern. Aber das kann ich nicht.« »Wenn du es nicht willst ...«
»Nein. Du warst diejenige, die getötet werden sollte. Ich finde, du mußt es wissen.« Er zog die rechte Schublade auf, holte einen wattierten schwarzgeränderten Umschlag heraus und reichte ihn ihr. »Ich bin nicht stolz darauf«, sagte er. »Und ich werde den Rest meines Lebens damit leben müssen. Ich weiß jetzt, was das bedeutet.« »Wir werden einander helfen ... solange wir beide leben. Ich habe denen auch geglaubt.«
Sie setzte sich aufs Sofa, klappte den Aktendeckel auf und begann zu lesen.
Havelock konnte sich nicht konzentrieren. Er saß starr in seinem Sessel, und die Zeilen, auf die er blickte, verschwammen vor seinen Augen. Während Jenna in den Bericht vertieft war, durchlebte er noch einmal den unerträglichen Schmerz; die Bilder jener schrecklichen Nacht huschten vor seinem geistigen Auge vorbei. Jetzt war sie Zeuge der nackten Gedanken eines Geistes unter chemischer Therapie, seines Geistes, seiner tiefsten, innersten Empfindungen. Die Sätze - die Schreie -erwachten wieder in ihm. Sie hörte sie auch, denn jetzt schloß sie die Augen und hielt den Atem an. Und er bemerkte, wie ein Zittern durch ihre Hände ging; als sie weiterlas ... Sie beendete den dritten Aktenordner, und er spürte, wie sie ihn anstarrte. Es war ein Blick, den er nicht erwidern konnte. Die Schreie hallten in seinen Ohren, Donnerschläge unerträglicher Gewalt, unverzeihbarer Fehler.
Geh! Stirb! Verlaß mich schnell! Du hast mir nie gehört. Du warst eine Lüge, ich habe eine Lüge geliebt; aber du warst ein Teil von mir! Warum hast du uns das angetan? Mir? Du warst das einzige, was ich hatte, und jetzt bist du meine ganz persönliche Hölle
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