Das Patent
Aktivität. Nun war alles leer. An der Wand über dem Laufsteg befand sich eine schmale Leuchtstoffröhre, die dafür sorgte, dass die Bühnenarbeiter sich nicht ins Gehege gerieten, wenn sie hier zugange waren.
Allocco brachte den etwa acht Meter langen Laufsteg bis zur nächsten Leiter hinter sich, packte die Sprossen und kletterte mit einem Seufzer weiter.
Der Weg zu Laufsteg 3 war weiter. Als er oben ankam, schwang er sich hinauf, setzte sich auf das harte Gitterwerk und lehnte sich mit dem Rücken an das Geländer. Er spürte, dass sein Rücken verschwitzt war, wo sein Hemd das Metall berührte, war es feucht. Es war verrückt. Er hätte einfach ein Standardsicherheitsteam hier raufschicken oder - noch besser - die Sache dem Wartungsdienst übergeben sollen.
Aber nachdem er schon mal so weit oben war, konnte er auch weitermachen. Er hatte körperliche Bewegung weiß Gott dringend nötig.
Allocco schaute sich schwer atmend um. Er war nun auf Höhe der Decke der Hinterbühne. Das Licht war hier zwar schwächer, aber am anderen Ende des Laufstegs sah er eine große Schutzwand: das Gehäuse der Hydraulik, die das Mauerstück auf dem Höhepunkt der Vorstellung in Richtung Publikum warf. Über seinem Kopf trafen die Innen- und Außenwände zusammen: eine schmale senkrechte Rinne bildete den eigentlichen Greifenturm. Am Ende von Laufsteg 3 erkannte er die unteren Sprossen einer neuerlichen Leiter, die über ihm in die Dunkelheit führte. Er wartete ein, zwei Minuten, um wieder zu Atem zu kommen, dann zog er sich hoch. Es war viel zu tun, er konnte nicht den ganzen Tag hier rumsitzen.
Der Aufstieg durch die Innenhaut des Turms erwies sich als noch schwieriger. Wenn er sich zu weit von der Leiter fort reckte, schrammte sein Rücken an der Oberfläche der Innenwand entlang. Das imitierte Gestein war rau und erhaben. Er musste sich dicht an die Sprossen drücken und die Arme einsetzen, um sich hochzuziehen. Als über ihm die finsteren Umrisse von Laufsteg 4 sichtbar wurden, zitterten Alloccos Armmuskeln. Er schnappte nach Luft und hievte sich hinauf.
Dieser Laufsteg wurde nur vom Wartungspersonal und bei seltenen Sicherheitsüberprüfungen benutzt. Es war sehr dunkel hier oben. Kaum zu glauben, dass gleich hinter der Wand heller Sonnenschein herrschte, dass dort Spielmänner umherschlenderten und Touristen lachten. Allocco stützte sich auf die Leiter und spürte das Hämmern seines Herzens.
Großartig: Wenn er hier einen Herzinfarkt bekam, dauerte es bestimmt eine Woche, bis man ihn fand.
Eine Minute später, als er wieder ruhiger atmete, griff er in seine Hemdtasche und entnahm ihr eine winzige Taschenlampe. Sie warf einen schwächlichen, fadendicken Strahl auf den Laufsteg über ihm. Wieso hatte er nicht daran gedacht, einen richtigen Strahler mitzunehmen? Allocco brachte die letzten Sprossen hinter sich und betrat Laufsteg 4. Dieser war schmal und mit einem hohen Geländer gesichert. Obwohl unter seinen Füßen nur Finsternis herrschte, war er sich der tief unter ihm liegenden Bühne sehr bewusst. Er fühlte sich unbehaglich und kam sich vor wie ein kleines Insekt, das über die Innenwand eines Einmachglases krabbelte.
Der Laufsteg führte in zwei Richtungen und tauchte in der Schwärze unter. Westseite, hatte es geheißen. Allocco gönnte sich einen Moment zur Orientierung, dann ging er vorsichtig los. Das Lämpchen beleuchtete den vor ihm liegenden Laufsteg.
Nach einer Weile streifte der Lichtstrahl das Gehäuse eines Infrarotsensors, der etwa dreißig Zentimeter über dem Boden am Geländer befestigt war. Geschickt verborgen, aber dennoch leicht aufzustöbern, wenn man wusste, wonach man suchte. Allocco kniete sich neben das Ding und richtete das Licht auf die Deckplatte: GT-205. Also musste der defekte Bewegungsmelder der Nächste in der Reihe sein. Gott sei Dank! Er stand auf und ging weiter.
Plötzlich blieb er stehen, mit angespannten Muskeln spitzte er die Ohren. Er öffnete den Mund, um einen Ausruf der Überraschung zu tun, doch sein sechster Sinn sagte ihm, er solle ruhig bleiben.
Dann geschah etwas Eigenartiges: Seine rechte Hand sank automatisch zu seinem Gürtel hinab. Und griff ins Leere.
Allocco musterte sprachlos und ungläubig seine Hand.
Vor Jahren, in einem anderen Leben, war er bei der Bostoner Polizei gewesen. In einem Dutzend Dienstjahren hatte er nie die Waffe gezogen. Welcher atavistische Impuls trieb ihn jetzt dazu, nach einem Revolver zu greifen? Er musterte den Laufsteg,
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