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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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. » Wenn ich dich noch einmal dabei erwische, spieße ich deinen hässlichen Körper der Länge nach auf und brate dich wie einen Hund.«
    Es war nicht die Drohung, die ihm zusetzte. Bedroht worden war Einauge schon unzählige Male. Es war das Wort »hässlich«, das ihm jetzt wie eine Klette anhaftete.
    Bislang hatte er geglaubt, er sähe gut aus, und viele Frauen hatten ihm dies auch bestätigt. Baláms Bemerkung jedoch hatte ihm die Nacht vergällt. Irgendwann hatte er seine neueste Beischläferin geweckt und sie gefragt, ob sie ihn schön fände. »Nein«, hatte sie gelacht.
    »Unattraktiv?«, hatte er nachgehakt.
    Sie hatte gezögert, auf eine Art, die ihm nicht behagte. »Bin ich etwa hässlich?«
    »Ja, genau«, hatte sie verschlafen gelächelt. »Du bist ausnehmend hässlich.«
    »Warum schläfst du dann mit mir?«
    »Das bringt Glück.«
    Jetzt wusste er, dass die Frauen nur zu ihm kamen, weil er ein Zwerg war und er ihnen Glück bringen sollte. Mit ihm selbst, mit seinem Aussehen und seinem Charme hatte das nichts zu tun. Sein Leben lang hatte er sich etwas vorgemacht. Und nun wollte er sterben.
    »Eine erstaunliche Stadt!«, merkte H’meen an, als sie an einem Gebäude und einem Wohnhaus nach dem anderen vorbeizogen. Aus einigen tauchten nach einer Weile Menschen auf, starrten die Neuankömmlinge an. Sogar kleine Gemüsegärten gab es hier, Kinder, die in Hauseingängen spielten, und bellende Hunde.
    Also doch keine völlig menschenleere Stadt. Aber eindeutig eine, die vom Aussterben bedroht war.
    Endlich erreichten sie einen bescheidenen Marktplatz, auf dem es recht beschaulich zuging. Eingerahmt wurde der Platz von massiven Steintempeln, die sich, unterteilt in Ebenen und Terrassen, zum Himmel emporreckten. Drei der Tempel wirkten aufgelassen, die beiden anderen wurden noch benutzt; auch wenn ihr Zustand zu wünschen übrig ließ und Unkraut und Schlingpflanzen die grauen Steinmauern überzogen, sah man Menschen in Kolonnaden und Türöffnungen.
    Chac gab ein Zeichen, das Lager aufzuschlagen; hier würden sie sicher sein, außerdem gab es ganz in der Nähe eine Wasserstelle. Also ließ man sich in einer Ecke der Plaza nieder und ging daran, sich auf den bemoosten feuchten Pflastersteinen einzelne kleine Areale abzustecken.
    Während H’meens Bedienstete etwas abseits ein Lager für ihre Herrin herrichteten, raffte die Pflanzenkundige ihre Arzneivorräte zusammen und begab sich zu den anderen, um ihre Hilfe anzubieten.
    Im Palast von Mayapán hatte sich ihr Wirkungskreis darauf beschränkt, den Garten zu pflegen und die Kräuterbücher zu führen. Im Verlauf der Reise hatte sie jedoch Heilpflanzen gesammelt, und jeweils nachts, wenn sie rasteten, hatten sie und ihre Bediensteten Blätter und Stängel und Blütenblätter zu Pulver verrieben, die für Elixiere und Tees Verwendung fanden. Jetzt, da sich der Abend über die gespenstisch anmutende Stadt senkte, griff H’meen nach ihrer medizinischen Ausrüstung und ging ihrem neuesten Beruf nach, dem der Heilerin, der ihr, wie sie festgestellt hatte, unerwartete Freude bereitete. Wegen ihrer Heilerfolge wuchs in der Gruppe nach und nach das Vertrauen zu ihr – Kindern, die von einer Kolik geplagt wurden, verabreichte sie Rizinussamen, auf schmerzhafte Furunkel trug sie einen Brei aus schwarzen Bohnen auf und auf Wunden, die nicht abheilen wollten, Löwenzahnwein. Alle, die sie behandelte, segneten sie und nannten sie »Mutter«. Dass H’meen gerade fünfzehn geworden war, ahnten sie nicht.
    Ihr erster Patient an diesem Abend, als bereits Lagerfeuer aufflammten und Schlafmatten ausgerollt wurden, war ein Mann mit einem Schlangenbiss. Sein Bein eiterte. Gegen die Infektion bestrich H’meen die Wunde mit einer Paste aus Honig und Basilikum; anschließend gab sie dem Kranken, um das Fieber zu senken, einen Sud aus Ringelblumen zu trinken, nicht ohne im Verlauf der Behandlung zum Geist der Infektion zu beten, wusste sie doch, dass Medizin allein nur dann half, wenn auch die Götter mit einbezogen wurden. Als sie dem Mann den Kopf stützte, um ihm das Trinken zu erleichtern, durchströmte H’meen eine nie gekannte Befriedigung – sie wurde gebraucht. Diese Menschen hier waren die Kinder, die sie nie haben würde.
    Selbst der edle Chac benötigte ihre Hilfe. Da er so schnell wie möglich die Küste erreichen und dann nach Mayapán zurückkehren wollte, um von dort aus nach Teotihuacán aufzubrechen, musste er den Überblick über die Tage bewahren, die

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