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Das Perlenmaedchen

Das Perlenmaedchen

Titel: Das Perlenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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glaubte ich, im Wind eine weibliche Stimme flüstern zu hören. Verstehen konnte ich sie nicht, aber ich spürte, dass sie zu mir sprach. Ich drehte mich zu den Gipfeln der Weißen Frau um, und auf einmal fiel mir das Bildzeichen für itzaccíhuatl – ›weiße Frau‹ – aus dem Buch der tausend Geheimnisse ein. Ich kehrte um, Tonina, weil für mich kein Zweifel bestand, dass du ins Tal von Anahuac unterwegs warst. Inzwischen glaube ich, dass es das war, was die Weiße Frau mir mit ihren Rufen im Wind sagen wollte. Sie hieß mich, nicht länger nach Osten zu gehen, sondern dem Pfad nach Westen zu folgen … zu dir.«
    Er umfasste ihre Schultern. »Zweimal habe ich mich zu meinem Stamm aufgemacht, und zweimal wurde ich davon abgehalten. Jetzt weiß ich, warum. Meine Bestimmung ist, bei dir zu sein, Tonina, nicht auf irgendeinem fernen Hügel, der mir nichts bedeutet. Du bist mein Universum. Der Atem in meiner Lunge. Du bist es, wohin ich gehöre. Ich gebe nichts auf verwandtschaftliche Tabus, Tonina. Was immer zurückliegenden Generationen verwehrt war, hat für uns keine Bedeutung mehr. Sag, dass du mich heiraten willst!«

    Der Berglöwe wurde bis zum allerletzten Rest verspeist, auch das Hirn, die Augäpfel und die Zunge. Chac wachte darüber, dass entsprechend der von ihm aufgestellten Regel jeder etwas bekam, alles miteinander geteilt wurde. Morgen wollte er an die anderen von ihm erlassenen Gesetze erinnern, an die sich alle zu halten hatten. Anschließend würde er sich die körperlich Robustesten vornehmen und eine leistungsstarke Kampftruppe aus ihnen machen.
    Er hatte sich das Blut von den Schultern gewaschen und saubere Kleidung angelegt, und obwohl er unentwegt an Tonina dachte, saß er jetzt mit den Freunden zusammen. Es galt nun einmal, die Form zu wahren. Wie Tonina hatte auch er es abgelehnt, Fleisch von dem Berglöwen zu essen. Beide waren ausschließlich hungrig aufeinander und sehnten die kommende Nacht herbei.
    »Balám verhandelt insgeheim mit anderen Stämmen«, sagte Chac zu den Leuten um das Lagerfeuer. »Er weiß von den uralten Rivalitäten unter den verschiedenen Stämmen im Tal von Anahuac, die alle gern die Oberhoheit besäßen. Seit Generationen herrscht hier ein recht brüchiger Frieden, so ähnlich wie im Gebiet der Maya, und jetzt versucht Balám, sie alle gegeneinander aufzuhetzen. Mit der Folge, dass die jeweiligen Häuptlinge bei geheimen Zusammenkünften Absprachen gegen den Eindringling vereinbaren. Dennoch sitzt der Groll tief. Zwistigkeiten und Fehden aus längst vergangener Zeit kommen wieder hoch, Tenapeken gehen auf Mexica los und Culhua gegen Mixteken.«
    Chac wollte sichergehen, dass alle wussten, welche Gefahren der Weg nach Amecameca noch in sich barg.
    Und dann wurde es für Chac und Tonina Zeit, vor ihren Freunden einen Schwur abzulegen. Da beide zum zweiten Mal heirateten, gab es keine feierliche Zeremonie. Gemäß der Tradition der Maya und Nahua erklärte jeder nur, mit dem anderen die Ehe einzugehen. H’meen notierte die Verbindung in der Chronik, die sie mit Aufbruch von Mayapán begonnen hatte und die inzwischen viele Seiten umfasste.
    Man wünschte sich gegenseitig gute Nacht. H’meen lud Ixchel für die Nacht in ihre bescheidene Hütte ein. Ixchel ging darauf ein und nahm auch das Baby mit, damit Tonina und Chac allein sein konnten.
    Während Ixchels Hunderte von Pilgern zum ersten Mal seit vielen Tagen mit einem Gefühl von Frieden und Sicherheit einschliefen – ihr Anführer war wieder da, alles würde gut werden –, löste Chac langsam die Bänder, mit denen Toninas zu zwei seitlichen Rollen aufgewickeltes langes Haar befestigt war. Tonina öffnete den Knoten, der seinen Umhang am Hals zusammenhielt, und ließ den schlichten weißen Baumwollstoff von seinen Schultern gleiten. Zum ersten Mal strich sie über seinen muskulösen Oberkörper, den sie so oft schon gesehen hatte. Sie neigte sich zu ihm, drückte die Lippen auf die Chapultepec-Tätowierung. Er küsste ihr Gesicht, die Stellen, auf denen einstmals weiße Symbole aufgemalt gewesen waren.
    Ihre Lippen näherten sich hungrig und voller Leidenschaft. Hände erkundeten voller Sehnsucht warme Haut. Tonina schien es, als ob noch kein Mann sie berührt hätte. Und eigentlich hatte das ja auch noch keiner, denn Balám war wie ein Tier über sie hergefallen. Das hier war Liebe, war Sehnen und Zärtlichkeit, köstliche und berauschende Sinnlichkeit. Seine Hände strichen über ihr Gesäß, erregten sie

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