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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Hensel
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horchte.
    Sie hörte nichts.
    Sie nahm Anlauf, ein Tritt, und das Schloss brach aus dem Rahmen. Sie schaute in den Flur, in die Küche, ins Wohnzimmer. Keine Veränderung seit gestern Nacht. Alles sauber und aufgeräumt. Die Bettdecke im Schlafzimmer war zurückgeschlagen. Sie öffnete die Tür zum Bad: Blut auf dem Spiegel, dem Waschbecken, dem Sitz der Toilette. Hier hatte er sie also überwältigt. Geknebelt, wahrscheinlich, und dann das Ohr abgeschnitten. Danach? Sie klingelte an der Wohnungstür gegenüber. Niemand öffnete. Sie klingelte an den beiden Wohnungstüren im 3. Stock – nichts. Aber Zeitungen und Prospekte lagen auf der Fußmatte, verstopften den Briefschlitz. Nachbarn im Urlaub, natürlich. Athen im August.
    Er hatte Eléni das Ohr abgeschnitten, er hatte sie verschleppt. Weil er gewusst hatte, wo sie wohnte. Weil Maria gestern Nacht Chanell die Kamera zurückgegeben hatte! Die Straßen, das Café, Elénis Haustür; Maria war zu blöd gewesen, die Fotos zu löschen!
    Sie schloss die Augen. Sie versuchte, klar zu sehen, einen Plan zu fassen. Aber sie sah das blutige Ohr in der Plastiktüte. Sie hörte Elénis Schreie, Rufe um Hilfe.
    Sie rufen nicht die Polizei.
    Die Kinder an der Rezeption hatten das Ohr in dem Beutel gesehen. Sie hatten es für einen Scherzartikel gehalten, sich geekelt und gelacht. Das hatte die Aufmerksamkeit der Rezeptionistin erregt. Sie hatte sich auch geekelt, aber nicht gelacht. Maria war zu den Fahrstühlen geeilt und hoch in ihr Zimmer gefahren. Sie hatte überlegt, trotz der Warnung die Polizei zu rufen. Sie hatte sich entschieden; das würde zu lange dauern. Sie hatte den Plastikbeutel in die Eisbox der Minibar gelegt. Sie war wieder nach unten gefahren, hatte die Rufe von der Rezeption ignoriert und war aus dem Hotel gestürzt.
    Mariä Entschlafung. Die Stadt war voll von Polizei. Aber nicht hier, im Gassengewirr hinter dem Viktória-Platz. Sie kannte die Notrufnummer nicht. Sie versuchte es mit 112.
    »Kaliméra.«
    »You speak English?«
    »Parakaló?«
    »Parlez-vous français? Habla español? Wy gawariti parusski?
    »One moment, please …«
    Freizeichen. Besetztzeichen. Leitung tot. Sie wählte erneut.
    »Kaliméra.«
    »I need someone who –«
    »One moment, please …«
    Freizeichen. Eine andere Stimme.
    »Jassás!«
    »Do you speak –«
    »Parakaló?«
    »Parlez-vous –«
    Freizeichen. Klicken, erneut ein Freizeichen. Sie suchte auf dem Schreibtisch, in den Regalen, an der Pinnwand in der Küche. Sie suchte nach einer Nachricht, einer Adresse, einer Spur. Sie fand nichts außer Rechnungen, Kontoauszügen, Kreditkartenbelegen, Mahnungen.
    »Mrs Vikélas is not at her desk.«
    »Who?«
    »She is not at her desk.«
    »Yes, but –«
    »Let my try.«
    Freizeichen. Knacken und wieder Freizeichen. Sie öffnete den Schlitten des DVD-Players. Da lag noch die CD. Er hatte sie nicht mitgenommen. Sie steckte sie in ihre Hosentasche.
    »One minute, I try.«
    Im Badezimmerschrank fand sie Medikamentenpackungen: Androcur-Tabletten, Triptorelin-Spritzen. Beides Testosteron-Hemmer. Marvadi Laboratories, Mumbai. Wahrscheinlich illegal importiert.
    »Jassás!«
    »Sorry, but –«
    »Parakaló?«
    »Does anyone –«
    »Parakaló?!«
    Aufgelegt. Sie schaute ins Schlafzimmer. Sie sah es auf dem Fußboden liegen. Neben dem Bett, halb verdeckt von einem Rock. Es lockte wie eine giftige Blüte. Maria hob das Portemonnaie auf. Ein Zwanzig-Euro-Schein. Zwei Zehner. Ein Fünfer. Einundvierzig Cent. Ihr Atem stockte. Sie fingerte, den Blick abgewendet, das Geld aus dem Portemonnaie.

35
    Der kleine Mann stand in der Vorhalle des Kriegsmuseums. In einem Anzug, der lächerlich groß vom ausgezehrten Körper hing. Seine weiße Haut spannte sich wie Pergament um die Schädelknochen und die blauschwarzen Adern. Aus den Augenhöhlen grinste der Tod. Er hielt sich den elektronischen Kehlkopf an den Hals und sagte:
    »Sie kommen spät.«
    »Es gibt Straßensperren«, antwortete Gabriel.
    »Keine Probleme?«
    »Ich bin im Plan.«
    Er reichte Gabriel eine Heftmappe. »Unsere Geheimdienste haben die nötigen Informationen ermittelt.«
    Maria Brecht, geboren am 6. April 1988 in Lugovoye, heute Republik Kasachstan …
    Ihre Kindheit. Ihre Ausreise nach Rostock, Norddeutschland. Grundschule Lichtenhagen, Realschule Störtebeker, Stephan-Jantzen-Gymnasium. Abitur. Studium der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Mutter Hausfrau, Vater arbeitssuchend. Ein Foto zeigte sie, gerade

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