Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Einchecken.«
Panourgiás trat von einer Plateausohle auf die andere, knetete mit den Zähnen seine Unterlippe. »Woher wissen Sie, dass die Deutsche zur richtigen Zeit die Nummer wählt?«
»Sie erhält wenige Minuten vorher eine Nachricht. Verhaften Sie als Komplizen, wen Sie wollen. Zeigen Sie dem Volk, Sie haben die Lage im Griff. Auf die ersten Stunden kommt alles an!«
»Wenn unsere Leute die Frau nicht finden …«
»Sie kann nicht weit kommen.«
»Vielleicht gibt es diplomatische Verwicklungen …«
»Mit Deutschland? Hoffentlich.«
Panourgiás presste den elektronischen Kehlkopf an seinen Hals. Er suchte nach Einwänden, Widerhaken. Er ging weiter, gehetzt. Eroberung durch die Bulgaren … Plünderung während der Kreuzzüge … Vierhundert Jahre Herrschaft der Osmanen …
Gabriel folgte ihm. Er hatte auf dem Weg an einer Snackbar gehalten und zwei Becher eiskalten Kaffee getrunken. Der Kaffee vertrug sich gut mit den Dramadol-Tabletten. Zwar fühlte er stärker als vorher das Pochen in der Schulter, aber sein Kopf war erfrischt. Zwei Becher Kaffee, und das dreckige Mädchen wäre ihm nicht entkommen!
Panourgiás blieb stehen: 6. April 1941. Einmarsch der deutschen Wehrmacht. Fotos von Erschießungen, niedergebrannten Dörfern, zum Gerippe abgemagerten Kindern.
»Sie haben meine Großeltern, meine Onkel und Tanten auf dem Dorfplatz erschossen«, sagte er. »Sie haben meine Mutter vergewaltigt. Vor den Augen meines Vaters!«
»Die Deutschen waren Tiere«, sagte Gabriel.
»Tiere lachen nicht beim Töten!«
»Haben die Deutschen Ihre Familie entschädigt?«
»Nein.«
»Haben sie Reparationen gezahlt?«
»Nie.«
»Haben sie um Vergebung gebeten?«
»In verlogenen Phrasen.«
»Erniedrigen sie das griechische Volk bis heute?«
»Sie sind wieder da! Erpressen uns! Saugen uns aus!«
Panourgiás taumelte. Gabriel musste ihn stützen und auf eine Bank setzen. Panourgiás starrte ins Leere. Er schüttelte den Kopf.
»Wir können das nicht tun«, stammelte er.
»Es ist nötig.«
»Es ist zu grausam.«
Ein Speichelfaden tropfte auf den Boden. Gabriel wusste, er musste jetzt behutsam sein. Dieser kranke, alte Mann glaubte an das Sinnloseste, woran ein Mensch glauben kann: Griechenland. Er hatte die Macht, mit einem Anruf Gabriels Rachewerk in Trümmer zu legen. Panourgiás war der Reiter, Gabriel das Pferd. Gabriel musste ihn im Sattel halten.
»Erinnern Sie sich?«, fragte er. »Sie haben mich gesucht.«
»Ich erinnere mich.«
»Sie haben einen Mann für den Job gesucht.«
»Den besten Mann habe ich gesucht.«
»Haben Sie mich gefunden?«
»Nein.«
»Haben Ihnen Ihre Kontakte aus der Diktatur geholfen?«
»Nein.«
»Ihre Geheimdienste? Ihre Botschaften?«
»Ich dachte, Sie wären tot.«
»Sie hatten die Hoffnung schon aufgegeben.«
Gabriel gab dem alten Mann Zeit zu nicken.
»Aber eines Nachmittags … an einem Sonntag …«
»Das Pferderennen …«
»Steht ein Mann hinter Ihnen …«
»In Markópoulo …«
»Legt Ihnen die Hand auf die Schulter …«
»Mein Pferd kurz vor dem Ziel …«
»Und sagt: Ich bin der Mann, den Sie suchen.«
Panourgiás atmete schwer.
»Ich habe Sie gefunden, Panourgiás. Weil ich wusste, dass es in Griechenland ein Problem gibt. Weil ich wusste, dass es Männer gibt, die dieses Problem lösen wollen. Und deshalb sind wir heute hier. Um das Problem zu lösen.«
Panourgiás hustete, spuckte, schlug sich den elektronischen Kehlkopf gegen den Hals.
»Ich werde bald sterben«, röchelte er.
»Wir sterben alle.«
»Ich will nicht als Verbrecher sterben.«
»Bleiben Sie stark. Handeln Sie. Verhaften Sie nach dem Anschlag viele Leute. Finden Sie Waffen. Am Abend verhaften Sie den Mastermind. Der Mastermind ist blond und weiblich. Er hat kein Alibi, er ist auf Kreta vom Tatort geflohen.«
»Wir wissen nicht –«
»Das Böse hat ein Gesicht! Das Böse ist deutsch!«
Panourgiás richtete sich auf. Gabriel wollte ihn stützen, er wehrte ihn ab. Er stand auf, schwankte auf seinen Plateausohlen, ruderte mit den Armen. Er fand sein Gleichgewicht und stand fest.
»Es gibt eine Theorie«, sagte er. »Über Alexander. Wie konnte er die Strategie der Perser durchschauen? Wie konnte er im Gewühl der Schlacht den Weg zu Darios finden? Manche Historiker sagen, es gab einen Verräter.«
»Blödsinn.«
»Ein Judas! Ein persischer General hat Darios verraten! Kein Mensch würde sich sonst an Alexander erinnern!«
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11.19 Uhr. Noch vierzig Minuten bis zum
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