Das Pest-Gewölbe
konnte sie nicht mal mehr als eine normale Menschenhaut bezeichnen, die hätte eher zu einem Huhn gepaßt. Sogar den Schauer konnte sie erkennen, aber das war Nebensache. Sie interessierte sich einzig und allein für diese Veränderung, denn sie spürte auch das ungewöhnliche Gewicht der Haut, die tatsächlich schwerer geworden war, daß Vivian befürchtete, sie könnte sich jeden Augenblick am Haaransatz lösen und abfallen.
Beide Arme hob sie an und führte die Hände zum Gesicht.
Es fiel ihr schwer, aber sie mußte es tun. Mit zwei Fingern packte sie die Haut an ihrer Stirn.
Ohne daß sie es eigentlich gewollt hätte, zog sie die Haut nach unten.
Tatsächlich, sie ließ sich bewegen.
Vivian erstarrte zur Salzsäule, als sie im Spiegel mit ansah, daß sich ihre Haut tatsächlich löste. Und es begann dicht unter dem Haaransatz. Dort ließ sie sich einfach wegziehen. Seltsamerweise hatte sie nicht mal Schmerzen, sogar das Brennen war verschwunden.
Die Frau zog ihre eigene Haut ab. Sie weinte dabei, aber sie konnte nicht anders und machte weiter.
Blut hätte hervorströmen müssen. Fleisch, Sehnen, Muskeln und Knochen, all das bekam sie nicht zu sehen.
Statt dessen sah sie etwas anderes, das bisher unter der normalen Haut verborgen gewesen war. Und sie erinnerte sich auch an diese ungewöhnliche Härte.
Metallisch und silbrig schimmerte es durch. Es glänzte beinahe wie ein Spiegel.
Vivian wußte Bescheid.
Sie sah ebenso aus wie der Frauenkopf, der sich in diesem Spiegel gezeigt hatte…
***
Als ihr dieser Gedanke gekommen war, zerrte sie die Haut nicht mehr weiter. Sie hatte die Stirn freigelegt und schaute dabei auf das seltsame Metall, das den gesamten Bereich einnahm. Es war gar nicht mal so glatt, nur beim ersten Hinsehen wirkte es spiegelnd. Das Metall bestand aus zahlreichen kleinen Poren, die tatsächlich auf ihm lagen und sie verteilten, wie eine Gänsehaut. Sie lächelte.
Es sah seltsam und schon nicht mehr menschlich aus, wie sich ihre Lippen bewegten. Denn gleichzeitig zitterte die Haut mit und rollte sich über den Mund hinweg.
Vivian Greyson wollte nicht auf halbem Weg stehenbleiben. Entweder oder, dazwischen gab es für sie nichts, und sie faßte wieder zu und zerrte die Haut nach unten.
Diesmal nicht so langsam, viel schneller, als könnte sie es nicht erwarten, ihre neue Gestalt anzunehmen. Sie keuchte dabei, sie riß und legte ihr gesamtes Gesicht frei, wobei die Haut zu beiden Seiten wie ein alter Stoff oder Lappen nach unten hing.
In der Höhe des Halses wellte sie sich zusammen, doch auch damit war die Frau noch nicht zufrieden. Wenn schon, denn schon, denn auch die Haut am Körper war von dieser nicht erklärbaren Veränderung betroffen.
Vivian zog so rasch wie möglich ihr Nachthemd aus. Sie knüllte es zusammen und schleuderte es in die Ecke, dann packte sie wieder die Hautfetzen an und zog sie nach unten.
Sie bewegte sich glatt und sicher. Kein Tropfen Blut floß. Ihren eigentlichen Körper gab es nicht mehr. Er war in den letzten Tagen längst zu einem metallischen Rumpf geworden, der froh zu sein schien, von der Last einer menschlichen Haut befreit zu werden. Auch über die Füße zog Vivian sie hinweg und stand schließlich nackt und hautlos da.
Eine Frau, ein Wesen, jemand ohne Haare, denn sie waren mitgezogen worden, und sie betrachtete sich im Spiegel.
Sie lachte.
Es war das gleiche Lachen wie bei dieser Erscheinung. Plötzlich stand für sie fest, daß sie Zwillingsschwestern waren.
Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen, das sah Vivian, während sie in den Spiegel blickte.
Und sie sah noch mehr.
Im Hintergrund erschien ein zweites Gesicht, und das kannte sie von ihrer ersten Begegnung her. Es war wieder dieser metallische Kopf mit den weißen Augen, den roten Lippen, dem Lächeln, und dieser Schädel schwebte genau neben dem ihren, wobei der Hals und auch der Körper im Spiegel verschwanden.
Die andere lächelte.
Vivian lächelte ebenfalls.
Sie verstanden sich, sie gehörten zusammen. Es war einfach etwas Wunderbares.
Nur sollte es nicht bei diesem Lächeln bleiben. Vivian wollte mehr, viel mehr, und sie holte zunächst einmal tief Luft, um die Frage zu überdenken.
Atem schöpfen, Lungen mit Sauerstoff füllen – das alles war kein Problem für sie. Es lief so ab wie immer, als hätte sie ihr Aussehen überhaupt nicht verändert.
Die Gestalt im Spiegel beobachtete sie. Ja, sie schaute aus dem Spiegel hervor. Eine Fremde, die ihr dennoch einmalig
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