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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Einer der Nägel war wie ein Angelh a ken gekrümmt, sodass er bei jedem Schlag ein wi n ziges Stück Fleisch herausriss.
    Nun ließ ich den Salzsack fallen und lief unter la u tem Rufen auf ihn zu. Aus der Nähe konnte ich e r kennen, dass er nur noch aus Schorf und blauen Fl e cken bestand. Frisches Blut tröpfelte in die getroc k neten Spuren früherer Verletzungen.
    »Bitte«, rief ich, »hör damit auf! Bestraf dich doch nicht selbst so! Komm lieber mit, und lass mich de i ne Wunden salben!«
    Gordon starrte mich nur an und murmelte weiter. »Te Deum laudamus, te judice … te Deum laudamus, te judice …« Im Takt seines Gebetes geißelte er sich selbst. Der krumme Nagel verfing sich in seinem Fleisch und hob ein kleines Hautstück an. Er riss daran, die Haut zerfetzte. Ich zuckte zusammen. Se i ne leise Stimme blieb ungerührt.
    Er schob sich an mir vorbei, als wäre ich nicht da, und ging weiter Richtung Edge. Ich nahm das Salz und lief eilends ins Pfarrhaus. Obwohl ich Mister Mompellion eigentlich mit nichts Neuem mehr b e lasten wollte, wusste ich, dass ich ihm John Gordons Verhalten nicht verheimlichen durfte. Er war in der Bibliothek und arbeitete an einer Predigt. Normale r weise hätte ich ihn dort nie gestört, aber als ich El i nor von meiner Begegnung berichtete, bestand sie darauf, dass diese Nachricht keinen Aufschub dulde.
    Auf unser Klopfen hin erhob er sich sofort und musterte uns mit ernster Miene. Wegen einer Kle i nigkeit würden wir ihn nicht stören, das wusste er genau. Als ich ihm berichtete, was ich mit eigenen Augen gesehen hatte, hieb er mit der Faust auf den Tisch.
    »Flagellanten! Ich hab’s befürchtet.«
    »Aber wie?«, sagte Elinor. »Wie kann so etwas hier auftauchen, wo wir doch so weit von den großen Städten entfernt sind?«
    Er zuckte die Achseln. »Wer weiß das schon? Gordon kann lesen und schreiben. Anscheinend verbreiten sich diese gefährlichen Ideen sogar mit dem Wind und suchen uns mir nichts, dir nichts heim, ob fern oder nah, genau wie die Krankheitssa a ten.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon die Rede war. El i nor, die meine Verwirrung spürte, wandte sich zu mir.
    »Sie gehören seit je zu den Schreckgespenstern, die zusammen mit der Pest umgehen, Anna«, sagte sie. »Schon vor vielen Jahrhunderten zogen Flage l lanten in Seuchen - und Kriegszeiten über die Str a ßen dieses Landes. Zu Zeiten des Schwarzen Todes tauchten sie erneut auf, manchmal in riesigen Me n gen. So schreiten sie von Stadt zu Stadt und ziehen die Seelen der Verstörten an sich. Nach ihrem Gla u ben kann man durch schmerzhafte Selbstbestrafung Gottes Zorn brechen. Sie betrachten die Pest als Se i ne Strafe für menschliche Sünden. Sie sind arme Seelen …«
    »Arme Seelen und doch hoch gefährlich«, warf Mister Mompellion ein, der aufgeregt auf und ab lief. »Meistens leiden sie selbst unter dem Schaden, den sie anrichten. Allerdings gab es auch schon Zeiten, wo sie sich zusammenrotteten und den Sünden and e rer die Schuld an der Pest gaben – häufig den Juden. Ich habe gelesen, wie sie in fernen Städten hunderte Unschuldiger dem Feuertod überantwortet haben. Bei einem ähnlichen Wahnsinnsanfall haben wir die Gowdies verloren. Noch eine Seele werde ich nicht verlieren.«
    Nun hielt er inne. »Anna, sei so lieb und packe Haferkuchen und ein paar von deinen Salben und Heiltrunken zusammen. Ich glaube, wir müssen die Gordons noch heute Nacht besuchen. Ich dulde nicht, dass sich dieses Credo hier verbreitet.«
    Wie gebeten, füllte ich einen Korb und legte noch etwas Sülze und die Reste eines großen Puddings dazu, den ich heute zum Abendessen zubereitet hatte. Draußen hob er mich auf Anteros, und dann ritten wir zum Hof der Gordons. Wir waren eben von der Hauptstraße abgebogen, als ich bemerkte, wie sich auf einer Grasböschung neben der Straße etwas We i ßes hin und her wand. Wäre mir klar gewesen, wo r um es sich handelte, hätte ich nie ein Wort darüber verloren, aber ich hielt es für einen Menschen in Not und rief dem Herrn Pfarrer zu, er solle anhalten. Mit einem leisen Kommando brachte er Anteros zum Stehen und lenkte das Pferd in die von mir gewies e ne Richtung. Offensichtlich erkannte er die wahre Sachlage v iel rascher als ich, denn bereits nach e i nem Augenblick zugehe er Anteros. Ich dachte, er wolle wieder zurück auf die Straße und das Paar a l lein lassen. Aber die Frau hatte ihn gesehen und stieß einen kläglichen Schrei aus. Daraufhin sprang der Mann, der auf

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