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Das Pesttuch

Das Pesttuch

Titel: Das Pesttuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: brooks
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Leider fürchte ich, dass es ihr ergehen könnte wie schon vielen von uns hier, die in Ihm einen schlec h ten Beichtvater fanden. Glaubte er mittlerweile ta t sächlich, all unser Opfer, alles Leid und alles Elend seien umsonst gewesen?
    Ich wollte für eine Weile allein sein, daher öffnete ich die Tür zum Pferch von Anteros und glitt hinein. Mit dem Rücken zur Wand verhielt ich mich mö g lichst still. Das Pferd bäumte sich einmal auf, dann stand es schnaufend und schnaubend da und musterte mich aus einem seiner großen braunen Augen. So verharrten wir viele Minuten. Als ich dachte, er wü r de mir nichts tun, ließ ich mich langsam hinunter ins Stroh gleiten.
    »Nun, Anteros, leider muss ich dir mitteilen, dass er nun doch verloren ist«, sagte ich. »Sein Verstand hat ihn restlos verlassen.« Sicher, das war es. Er war verrückt. Eine andere Erklärung konnte es nicht g e ben. Das Pferd schien meine Verzweiflung zu sp ü ren. Es hatte aufgehört, unruhig herumzutänzeln. Hin und wieder hob es einen Huf und ließ ihn fallen, wie ein ungeduldiger Mensch, der mit den Fingern auf den Tisch trommelt.
    »Auf ihn zu warten, nützt nichts mehr, mein Freund«, sagte ich. »Wir beide werden akzeptieren müssen, dass er sich seiner Dunkelheit überlassen hat. Ich weiß, ich weiß, nach all der Kraft, die er uns gezeigt hat, fällt es schwer, das zu glauben.« Aus meiner Rocktasche zog ich ein zerknittertes Stück Papier. Es war der Entwurf für den Brief an Elinors Vater, den Mister Mompellion unmittelbar nach ihrer Ermordung aufgesetzt hatte. Der letzte Brief, den er so diktieren sollte, der letzte, ehe die Straßen wieder geöffnet wurden. An jenem Tag war ich bei ihm geblieben. Ich hatte Angst gehabt, ihn aus den Augen zu l assen, jawohl, aber auch Angst, mit meinem e i genen Kummer allein zu sein. Trotz seiner kräftigen Stimme konnte er die Worte dieser Depesche nur mit äußerster Mühe laut rufen. Am Ende hatte er wie ein Junge im Stimmbruch gekiekst. Nachdem er Mister Holbroke zum Abschied zugewinkt und sich wieder Richtung Pfarrhaus gedreht hatte, hatte er den En t wurf zerknüllt aus der Hand fallen lassen. Ich war hingerannt und hatte ihn aufgehoben.
    An jenem Tag war er in einer besonders düsteren Stimmung gewesen – wer wäre das nicht? –, und doch hatte sein Glaube damals fest gewirkt. Nun las ich das Papier erneut im Halb dämmer des Stalles, obwohl ich große Mühe hatte, das hastig Hingekri t zelte zu entziffern:
     
    … Unser Liebstes ist zur ewigen Ruhe eingega n gen und wurde mit einem Glorienschein gekrönt und mit dem Gewand der Unsterblichkeit bekleidet, das sie wie die Sonne am Firmament des Himmels ersche i nen lässt … Liebwerter Sir, Euer strebender Kaplan möc h te Euch und Eurer Familie diese Wahrheit anempfe h len: Dass wir nur durch ein frommes Leben in diesem Tal der Tränen Glück oder wahren Trost finden kö n nen. Außerdem flehe ich Sie an, fo l gende Regel zu beherzigen: Nie etwas zu tun, für das Sie nicht zuvor wagten, Gottes Segen zu erflehen, dessen Erfolg …
    Sir, vergeben Sie den ungehobelten Stil dieses P a piers. Es dürfte Sie jedoch nicht wundern, falls ich meiner Sinne nicht ganz mächtig bin. Haben Sie trotzdem die Güte zu glauben, dass ich, liebwerter Sir, Ihr alleruntertänigster, Ihnen sehr verbundener und aufs Äußerste dankbarer Diener bin …«
     
    Na ja, dachte ich, damals war er seiner Sinne eher mächtig gewesen als jetzt. Ich bezweifelte, ob er eine Bitte um Gottes Seg en gewagt hätte, als er Elizabeth Bradford so rüde abwies oder die Bibel entweihte. Wenn Elinor hier wäre, könnte sie mir raten, was ich für ihn tun sollte. Allerdings befände er sich dann nicht in diesem Zustand.
    Da saß ich nun und atmete den schweren süßlichen Geruch von Pferd und Heu ein. Mit einem Schna u ben senkte Anteros seinen massigen Schädel auf meinen Nacken und beschnupperte mich. Langsam hob ich die Hand und streichelte seine lange Schna u ze. »Da wären wir also, du und ich, am Leben«, sagte ich. »Also müssen wir beide unser Bestes daraus m a chen.«
    Er scheute vor meiner Berührung nicht zurück, sondern drückte sich gegen meine Hand, als würde er um noch mehr Liebkosungen betteln. Dann hob er den Kopf, als versuche er, die Luft im Freien zu wi t tern. Darf man sagen, ein Tier habe so etwas wie e i nen wehmütigen Ausdruck? Wenn ja, dann machte Anteros jedenfalls auf mich diesen Eindruck. »Dann lass uns gehen«, flüsterte ich. »Gehen und leben. E i ne

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