Das Pete Buch 27 - Falsch gewettet
aber rannte in ihr Haus zurück, richtete mit der Kraft einer Amazone den Schrank wieder auf, steckte ihren halbbetäubten Mann im Schlafzimmer unter das Bett und erschien dann wieder im Freien, während von allen Seiten die Nachbarn zusammenliefen.
„Blödsinn! Jack Ripper! Dummes Zeug!" dachte Mr. Gray. Aber er konnte doch auch seinen eigenen Sohn nicht öffentlich anprangern, daß er dem Town einen Bären aufgebunden habe; deshalb setzte er sich kopfschüttelnd in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Die Stundung von Corners Steuern aber hob er nicht auf; er war fest überzeugt, daß die Frau des Sargmachers ihn nur in ihrer Aufregung so „feucht" empfangen hatte. Und der Knall soeben? — Da steckte bestimmt auch wieder so ein Bengel dahinter.
Das Town war also wieder im schönsten Aufruhr. Jack Ripper! Jack Ripper! Der Name ging von einem Mund zum anderen. Mrs. Corner hatte alle Erklärungen abgelehnt und sich offenbar in ihrer Todesangst in ihrem Hause eingeriegelt. Die Somerseter aber sahen den schrecklichen Gangster jetzt aus allen Ecken heranstürmen. Als es dunkelte, lagen die Straßen vereinsamt; von dem sonstigen heiteren Leben des Samstag-Abends war nichts zu spüren. Hilfssheriff Watson saß natürlich pflichtbewußt im Office, die Füße auf dem Tigerfell, den Colt vor sich auf dem Tisch, und wartete auf den nächsten Alarm. Er strahlte förmlich in stiller Freude. Dort draußen aber, in der Schwärze der Nacht...
In der Wohnung Mr. Stanleys, des Bank-Kassierers, ertönte um 10 Uhr 30 ein dumpfes Heulen, und der Hausherr, der in seinem Lehnstuhl am Kamin in einen Kriminalroman vertieft war, drückte sich in das Polster, als würde er von einem Preßlufthammer zusammengequetscht.
Barmherzigkeit! Wo kam das her? War jemand bei ihm eingedrungen? War Jack Ripper bereits am Werk?
Mr. Stanley saß für eine Minute mäuschenstill. Seine Frau war verreist; außer ihm befand sich keine Menschenseele im ganzen Haus, und das steigerte seine Angst.
Hu! Hu! Wieder das Heulen. Es klang direkt überirdisch. Und dann stand eine Stimme im Zimmer. Jawohl! Sie stand im Zimmer, obwohl kein Mensch, der zu dieser Stimme gehört hätte, zu sehen war.
„Mr. Stanley! Am 14. bis 16. Mai; Sie wissen, was das bedeutet!? Jack Ripper! Jack Ripper Hu, hu, hu!"
Dann — Stille. Nein! Keine Stille! Denn bald nach dem Verklingen des letzten Hus knallte etwas an die äußere Hauswand, als wäre ein Stein dagegen geprallt. Und eine andere Stimme rief:
„Der 16. bis 18. Mai! Nicht vergessen! Jack Ripper naht!"
Mr. Stanley bibberte am ganzen Körper. Er hatte zwar in jeder Hosentasche einen Colt, und zwei andere Schießeisen steckten in seiner Jacke, die er über die Stuhllehne gehängt hatte; aber er hätte um alles in der Welt nicht gewagt, einen davon zu ziehen. Vielleicht beobachtete ihn Jack Ripper bereits auf unerklärliche Weise, und wenn er zur Waffe griff, würde ihm der Gangster mit einem wohlgezielten Schuß zuvorkommen.
„14. bis 16. Mai?" bibberte er. „Und dann wieder: 16. bis 18.? Wie soll ich mir das erklären? Wie kann — Ich glaube, ich muß mich schon am 13. krank melden."
Auch draußen gellte ein Schrei. Wenn Mr. Stanley Herr seiner Sinne gewesen wäre, so hätte er gemerkt, daß es eigentlich zwei Schreie waren und daß das laufende Geräusch, das sich dem anschloß, teils nach rechts, teils nach links führte. Aber er war zu erschüttert. Außerdem hätte ihm diese Beobachtung nicht das geringste genützt; seine gräßliche Furcht wäre die gleiche geblieben.
Der Kassierer verharrte weitere fünf Minuten zusammen geduckt im Sessel. Dann schlich er, scheue Blicke um sich werfend, zum Telefon und rief das Sheriffs-Office an.
„Hier Stanley. Mr. Watson, sind Sie am Apparat? Mr. Watson!"
„Aber gewiß doch!" quäkte es beruhigend zurück. „Nun, was gibt es?"
„Hier war eben so ein fürchterliches Geräusch. Nein, nicht in der Bank, in meiner Wohnung. Jemand rief, Jack Ripper wäre da — oder, genau gesagt, am 14. Mai wäre er fällig. Können Sie nicht sofort herkommen?"
„Tut mir leid", sagte der Hilfssheriff. „Ich muß in der Zentrale bleiben, das heißt: im Office. Hier schlägt das Herz und hier wacht das Hirn von Somerset. Hier bin ich, hier kämpfe ich. Ich kann mich nicht einmal um meinen Jimmy kümmern, der krank in seiner Kammer liegt."
„Ja, aber Sie müssen doch eingreifen! Sie müssen mir helfen!"
„Kann ich beim allerbesten Willen nicht, Mr. Stanley. Gesetzt den Fall, ich
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