Das Phantom auf dem Feuerstuhl
Durch den Glaseinsatz in der Tür konnte man
auf den Flur blicken — bis hin zum Schwarzen Brett.
Tarzan und Klößchen quetschten sich
hinein.
Der Hörer des Münzfernsprechers lag
neben dem Telefonbuch auf der Ablage.
„Ja, Gaby?“ sagte Tarzan in die
Muschel.
Am Telefon klang Gabys Stimme immer,
als hätte sie gerade Singen geübt: melodisch; und manchmal jubilierte sie
geradezu.
„Stell’ dir vor“, zwitscherte sie
aufgeregt, „es ist schon wieder was passiert. Du hast Herfuhrt nicht geglaubt.
Das war dir anzumerken. Jetzt gibt’s einen Beweis: Er kann das Phantom nicht
sein. Eben habe ich nämlich von meinem Papi gehört: Um 19.15 Uhr heute abend
hat dieser schreckliche Verbrecher abermals zugeschlagen. Mit einer Schleuder
hat er Stahlkugeln gegen einen Kleinwagen geschossen. Bei der Steinernen Rinne.
Weißt, wo das ist? Eine junge Frau war im Wagen. Sie ist gegen einen Baum
geprallt. Der Wagen — Schrott. Sie hat sich zum Glück nur einen Arm gebrochen. Aber
das ist schlimm genug. Jedenfalls — Herfurth saß um 19.15 Uhr mit uns im Eis-Café.
Deshalb...
„Gut, gut!“ unterbrach Tarzan sie. „Aber
hat die Frau das Phantom gesehen?“
„Ja, doch. Genau. Der Kerl hat hinter
Büschen gehockt. Mit seinem Motorrad ist er dann über einen Waldweg geprescht.
Ein bißchen hat sie den Verbrecher beschrieben: Schwarzer Motorradanzug, Helm.
Eben — das Phantom. Für die Frau, weißt du, tut’s mir leid. Aber für Herfurth
freut’s mich. Jetzt kannst du dein Mißtrauen vergessen.“
„Hast recht, Gaby. Okay, es war ein
Irrtum. Ich werde Herfurth jetzt anrufen und ihm sagen, wie es ist. Er denkt
ja, daß ich ihn immer noch im Visier habe. Morgen nachmittag sehe ich mich bei
der Steinernen Rinne um. Ich lasse nicht locker. Nein, ich nicht! Und irgendwann
finde ich was. Das habe ich im Gespür.“
Gaby sagte, daß sie seine
Hartnäckigkeit gut fände. Sie wünschten sich Gute Nacht und beendeten das
Gespräch.
Klößchen hatte alles mitgehört.
„Herfurth wird sich freuen.“
Tarzan wählte bereits. Herfurth meldete
sich. Schon als er seinen Namen nannte, stieß er mit der Zunge an. Es war noch
kein Lallen. Aber Tarzan ahnte, daß es nicht bei dem einen Cognac vorhin
geblieben war.
„Hier spricht Peter Carsten, Herr
Herfurth. Entschuldigen Sie, daß ich so spät anrufe, aber ich muß Ihnen was
mitteilen. Wir wissen jetzt, daß Sie das Phantom nicht sein können. Sie haben,
ohne es zu brauchen, ein Alibi. Während wir zusammensaßen, hat der Verbrecher
nämlich abermals einen Anschlag auf ein Auto verübt. Er wurde gesehen — allerdings
nicht erkannt. Es tut mir leid, Herr Herfurth, daß ich Sie mit meinen
Verdächtigungen belästigt habe.“
„Geschenkt!“ Herfurth kicherte. „Ist ja...
schon erledigt. Zuviel Ehre.“
Jetzt hörte man, daß er betrunken war.
„Dann gute Nacht“, sagte Tarzan.
Herfurth brabbelte was Unverständliches
und legte auf.
„Komisch!“ sagte Tarzan. „Wie
unterschiedlich die Menschen innerhalb einer Familie sind. Ich finde, Claudia
hat verdammt wenig Ähnlichkeit mit ihrem Vater. Und das nicht nur äußerlich.
Gut ist das, finde ich. Herfurths Unschuld steht fest. Aber sympathisch ist er
mir nicht.“
Klößchen bestätigte, ihm ginge es
ebenso.
Im ADLERNEST überprüfte er bekümmert
seinen Schokoladenvorrat. Er war auf vier Tafeln zusammengeschmolzen.
„Diese Woche verhungere ich. Mir ist
schon ganz elend.“
„Du kannst gewiß sein, daß wir zu
deiner Beerdigung kommen“, sagte Tarzan. „Hast du einen besonderen Wunsch wegen
des Grabsteins? Vielleicht sollte er in Form einer Tafel Schokolade gemeißelt
werden. Als Inschrift schlage ich vor: Er mochte Bitter, Vollmilch, Nuß — mit
13 Jahren war schon Schluß.“
„Hör’ bloß auf!“ meinte Klößchen und
schluckte. „Wenn ich an meine Beerdigung denke, kommen mir jetzt schon die
Tränen. Wie gut, daß ich dann nicht dabei bin. Kannst du mir in Physik was
erklären?“
Sie paukten, bis das Licht gelöscht
wurde. Dann fühlte Klößchen sich so erschöpft, daß er sofort einschlief.
Tarzan lag noch lange wach und dachte
über Herfurth, über Claudia und über das Phantom nach. In dieser Nacht träumte
er bedrückend. Mit seinem Rad fuhr er durch einen finsteren Wald, aber so sehr
er auch strampelte, er kam nicht voran. Doch der Verfolger näherte sich: Das
Phantom. Es saß nicht auf einem Motorrad, sondern auf einem glühenden Stuhl,
der auf Rädern rollte. Aus einer Schleuder verschoß
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