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Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
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drohte den eigentlichen Zweck seines Kommens zu überlagern, sodass Paul mit ratloser Miene ins Behandlungszimmer trat, als die Assistentin ihn wenige Minuten später hineinführte. Evelyn Glossner gab ihrer Mitarbeiterin zu verstehen, dass sie für heute Feierabend machen dürfe. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit ganz auf Paul.
    Dessen Verstimmung bemerkte sie sofort, woraufhin sich ihr herzliches Willkommenslächeln in einen Blick gütigen Verständnisses wandelte. Sie bedeutete ihm, sich zu setzen, und ging auf einen kleinen Beistelltisch zu, auf dem ein zierliches Teeservice stand. »Ich habe mir gerade einen Tee mit Melisse und Orangenblüte gemacht. Sehr entspannend«, sagte sie mit ihrer freundlich sanften Stimme und goss zu gleichen Teilen in zwei Porzellantässchen ein. »Sie möchten doch sicher auch einen. Sie sehen aus, als könnten Sie ihn vertragen.«
    Noch immer nachhaltig verwirrt durch seine Entdeckung im Wartezimmer, nickte Paul geistesabwesend. Nachdem er von dem süßlich-frisch duftenden Tee gekostet hatte, gelang es ihm schließlich, sich auf seine Gesprächspartnerin zu konzentrieren. »Sie werden es mir hoffentlich nachsehen«, begann er sein eigentliches Anliegen vorzubringen und kam ohne weitere Umschweife auf die Morde im Opernhaus zu sprechen.
    Hatte er ursprünglich damit gerechnet, bereits an dieser Stelle von Frau Glossner unterbrochen und hinauskomplimentiert zu werden, sah er die Psychologin mit gleichbleibend aufgeschlossenem Ausdruck seinen Worten lauschen. Ohne Einwände oder Zwischenfragen hörte sie sich Pauls Schilderungen der Verdachtsmomente und der in Frage kommenden Personen an und blockte selbst dann nicht ab, als Paul den heikelsten Punkt seiner Mission anging – als er sich nämlich nach Britta Kistners Tabletten erkundigte. »Mir ist ja bekannt, dass Sie solche Auskünfte nicht geben dürfen. Aber vielleicht können Sie eine einfache Erklärung dafür liefern und Britta damit ganz schnell wieder aus der Schusslinie nehmen.«
    »Steht sie denn in der Schusslinie?« Evelyn Glossner neigte ihren Kopf. Ihre zwei smaragdgrünen, ovalen Ohrringe gerieten ins Schwingen und baumelten hin und her. »Ich verstehe, dass Sie das irritiert hat«, sagte sie dann. »Britta ist schon seit Längerem bei mir in Behandlung. Es tut ihr gut, wenn sie regelmäßig zu mir kommt.«
    »Ja«, sagte Paul und nippte noch einmal am Tee. »Sie sind ohne Zweifel eine große Hilfe für viele Menschen. Aber was ich gern wissen würde, ist der Grund für Brittas psychische Probleme.«
    Evelyn Glossner lächelte milde. »Gründe für Probleme, mit dem Leben zurechtzukommen, gibt es mannigfaltige. Auch Sie selbst werden mitunter an den Punkt kommen, an dem Sie sich drehen und wenden und Ihre innere Unzufriedenheit doch nicht überwinden können. Das sind Momente, in denen Sie an allem zu zweifeln beginnen. Freundschaften werden auf den Prüfstand gestellt, die Karriere wird kritisch beäugt. Die Zwischenbilanz des Lebens kann bitter ausfallen, wenn die emotionale Herangehensweise der negativen Grundstimmung unterliegt.«
    »Ich habe keine negative Grundstimmung«, sagte Paul. Seine Blicke wurden von den hin- und herschwingenden Ohrringen der Glossner angezogen. »Um noch einmal auf Britta Kistner zurückzukommen …«
    »Ach, Herr Flemming.« Noch immer klang die Psychologin ausgesprochen freundlich. »Wissen Sie eigentlich, wie viele Menschen in ihrem Alltag auf gewisse emotionsstabilisierende Medikamente angewiesen sind? Ich kann mir gut vorstellen, dass auch Ihnen in Ihrem Job und Ihrer privaten Situation die substituierende Wirkung einer bestimmten, auf Ihre individuellen Bedürfnisse abgestimmten Substanz helfen könnte.«
    »Britta Kistner ist eine Ihrer Patientinnen«, beharrte Paul. »Verraten Sie mir, welche weiteren Ensemblemitglieder in Behandlung sind? Ob Sie noch andere psychisch labile Personen nennen können, die in die Ermittlungen einbezogen werden sollten?« Paul war mehr und mehr gebannt von der einlullenden Wirkung des pendelnden Ohrschmucks. Er suchte nach etwas zum Festhalten, ertastete die Tasse vor sich und trank seinen Tee aus.
    »Ich werde ganz sicher keine Patienten denunzieren«, wehrte Frau Glossner Pauls Anliegen ab, ohne ihren Tonfall zu verschärfen. »Sie würden es ja auch nicht gutheißen, wenn ich mich Außenstehenden gegenüber über Ihre Zwangspsychose auslasse.«
    »Was meinen Sie?« Paul wurde warm um die Brust. Das musste am überhastet getrunkenen Tee

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