Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Phantom im Opernhaus

Das Phantom im Opernhaus

Titel: Das Phantom im Opernhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Beinßen
Vom Netzwerk:
liegen.
    Evelyn Glossner bewegte ihren Kopf erst nach rechts, dann nach links. Ihre Ohrringe veränderten daraufhin den Rhythmus ihrer Schwingungen. »Haben Sie denn nicht manchmal selbst Zweifel an dem Sinn Ihres Tuns? Merken Sie nicht, wie Sie durch Ihre notorische Neugier ins Verderben gezogen werden? Dass Ihnen diese Neigung auf die Dauer nur schadet?«
    Paul wurde ganz anders. Konnte die Glossner Gedanken lesen? Konnte sie seine Überlegungen, die er auf dem Weg zu ihr durchgegangen war, erahnen oder nachempfinden? »Wenn Sie nicht über Britta sprechen wollen«, setzte er an, vermochte den Satz aber nicht zu beenden.
    »Folgen Sie mir«, sagte Evelyn Glossner. Sie stand auf, umrundete ihren Schreibtisch und griff Paul in der Armbeuge. »Wir werden unser Gespräch in einem entspannteren Rahmen fortsetzen.«
    Paul wunderte sich über sich selbst, weil er der Anweisung der Psychologin widerstandslos folgte. Er ließ sich von ihr bis zu der Liege in einer abgedunkelten Ecke des Raums führen. Evelyn Glossner brachte ihn mit sanftem Druck in die Horizontale. »Ich möchte mich nicht hinlegen«, protestierte Paul kraftlos, als er sich bereits ausgestreckt hatte.
    »Bleiben Sie ganz locker«, sagte die Glossner. »Lassen Sie sich fallen, machen Sie Ihren Gedanken Luft. Sie müssen lernen loszulassen.«
    Genau das wollte Paul nicht. Erfolglos versuchte er, die schwingenden Ohrringe aus seinem Gesichtsfeld zu verbannen. Doch aus irgendeinem Grund war das nicht möglich. Es kostete ihn erhebliche Kraft, um zwei fragmentarische Sätze zu formulieren: »Die Bilder. Draußen im Wartezimmer.«
    »Was ist denn mit den Bildern?«, fragte Evelyn Glossner. Ihr rundes Gesicht schwebte nur wenige Zentimeter über dem von Paul.
    »Auf einem Foto … – da sind Sie selbst.« Paul merkte, wie er die Kontrolle über sein Sprachzentrum verlor. Auch schien es ihm kaum noch möglich, sich zu bewegen.
    »Das mag sein. Es stammt aus meiner aktiven Phase.«
    »Sie waren …« Mehr vermochte er nicht zu sagen. Das weiche runde Gesicht über ihm verschwamm zusehends. Doch er nahm noch die Antwort wahr:
    »Ja, ich gehörte selbst einmal zur Truppe. Das ist lange her. Ein anderes Leben.«
    Paul war nicht mehr imstande, konkrete Rückschlüsse aus dieser Information zu ziehen. Er fühlte, dass er kurz vor dem Verlust des Bewusstseins stand. Er zwang sich dazu, eine allerletzte Frage auszustoßen: »Was w … war im T … Tee? Was passiert mit …«
    »Was Ihnen gerade widerfährt, möchten Sie wissen?« Evelyn Glossners Stimme klang in Pauls Ohren mehr und mehr wie durch Watte gedämpft. »Sie erleben die sich potenzierende Wirkung von gezielter Suggestion und einem Barbiturat. Weitere Erklärungen werde ich Ihnen und mir ersparen, Herr Flemming. Denn Sie würden sie ohnehin nicht mehr aufnehmen.«

29
    Paul erwachte mit dröhnendem Kopf. Als er die Augen aufschlug, brauchte er etwas Zeit, um sich zu orientieren.
    Noch immer lag er ausgestreckt in Evelyn Glossners Behandlungszimmer. Er versuchte sich zu erheben, spürte aber unmittelbar ein heftiges Stechen in den Schläfen. Er sank mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück. Er ließ eine Minute verstreichen, vielleicht waren es sogar zwei. Ganz sachte drehte er den Kopf und sah sich blinzelnd im Zimmer um. Er war allein. Von der Psychologin keine Spur.
    Pauls Blicke glitten zu den Fenstern, durch die ein mildes Licht fiel. An den langen Schatten, die es warf, konnte er ablesen, dass die Sonne schon sehr tief stand. Es ging also bereits auf den Abend zu.
    Paul lag noch immer wie festgekettet auf der Liege und versuchte, sich seine Situation zu erklären. Was war ihm widerfahren? Und warum?
    Weshalb hatte ihm Evelyn Glossner etwas in den Tee geschüttet? Ausgerechnet diese vertrauenerweckende und hilfsbereite Frau! Paul konnte sich keine Vorstellung von ihrer Motivation machen, auch sah er keinen Grund für ihre Verwicklung in die Opernmorde. Aber egal, er musste etwas unternehmen!
    Seine Hände fühlten sich taub an, weil er auf ihnen gelegen hatte. Nur langsam strömte das Blut zurück und erweckte sie kribbelnd zu neuem Leben. Als Paul seine Finger wieder bewegen konnte, tastete er in der Hosentasche nach seinem Handy. Er zerrte es heraus und hielt es vor sein Gesicht. Zu seiner Enttäuschung blieb das Display schwarz, als er versuchte, eine Nummer einzugeben. Er drehte es um und sah, dass der Akku fehlte.
    Wut stieg in ihm auf. Abermals versuchte er sich aufzurichten, wieder wurde er von einer

Weitere Kostenlose Bücher