Das Pharma-Kartell
dankbar.
Nach und nach beruhigt sich Jamila.
„Ist Ihnen etwas aufgefallen, Jamila? Denken Sie genau nach, rufen Sie sich alles ins Gedächtnis… wie Sie das Zimmer betreten haben… womit Sie angefangen haben…“
Madame Emma übersetzt. Jamila hebt die Schultern.
Nein, nichts. Dann, nachdem sie schon drauf und dran gewesen ist, in Tränen auszubrechen, lächelt sie wie ein Kind und sagt ein paar Worte. Madame Emma lächelt ebenfalls. Ich bestehe darauf, dass sie übersetzt.
„Ach Unsinn“, sagt sie. „Im Papierkorb ist nichts gewesen.“
Das ist gar kein Unsinn. In unserem Beruf gibt es auch Paradoxien. Ein leerer Papierkorb gibt bisweilen mehr Informationen als zehn volle.
„Und haben Sie irgendwo im Zimmer… oder auf dem Balkon oder im Bad Asche von verbranntem Papier gefunden, Jamila?“
„Nein, Monsieur.“
„Sind Sie sicher? Mitunter bleiben kleine leichte Stückchen übrig, die der Luftzug in die Ecke trägt. Beim Saubermachen findet man sie.“
„Nein, Monsieur. So was hat es im Zimmer von Herrn Doktor Enzo Larchey nicht gegeben.“
„Gut. Ist Ihnen etwas anderes aufgefallen?“
„Nein. Das heißt…“
Ich stürze mich sofort auf dieses zögernde „Das heißt“. Was gibt es? Auch wenn es albern anmutet, sie soll es sagen! Jamila erklärt Madame Emma hastig etwas, und sie überlegt, wie sie es übersetzen soll. Sie sucht nach den Worten, die ihr teilweise fehlen, ich helfe, so gut ich kann.
Heraus kommt eine von jenen Absonderlichkeiten, wie sie nur ein Pedant von Larcheys Schlag ersinnen kann. Er sei furchtbar zornig geworden, wenn Jamila seinen Schreibtisch abgestaubt und dabei seine Bücher und Hefter verschoben habe. Doch Staub bleibe Staub, selbst für einen Pedanten. Deshalb habe er mit Jamila ein Gentleman’s Agreement getroffen. Auf der Schreibtischplatte stehe ein kleiner Steckkalender aus Metall, und zwar immer rechts vom Bleistiftbehälter. Ob ich ihn gesehen hätte?
„Ja, ich habe den Kalender gesehen. Weiter?“
Wenn Doktor Larchey der Ansicht war, dass er schon bis zum Hals im Staub versank und Jamilas Eingreifen nötig sei, habe er den Kalender nach links gestellt, zu den Heftern. Als sie am Freitagmorgen in das Zimmer gekommen sei, habe der Kalender weder rechts noch links gestanden, sondern in der Mitte, neben der Schachtel mit den Kugelschreibern. Sie habe nicht gewusst, was sie machen solle und sich diese Einzelheit deshalb gemerkt. Was könne das bedeuten?
Ich weiß nicht, was es bedeuten kann. Ein Zufall. Nur, dass in Larcheys Zimmer zu viele Zufälle zusammenkommen.
Ich versuche es mit noch ein paar Fragen, es kommt aber nichts dabei heraus, und Madame Emma schickt Jamila weg. Das letzte, worum ich bitte, ist, dass ich mit Jonah sprechen möchte.
„Hoffentlich ist er da.“ Sie steht rasch auf. „Könnte sein, er ist weggefahren.“
Jonah ist zugegen – nach ein paar Minuten bringt ihn Madame Emma herein, und ich beginne mit ihrer Hilfe ein etwas ermüdendes Gespräch. Sie übersetzt, und es fällt mir schwer, auseinanderzuhalten, was Jonah sagt und was ihr Kommentar dazu ist.
Jonah wohnt in der Stadt, dort hat er seine Familie. In die Pension kommt er gegen fünf Uhr nachmittags und geht morgens. Er hilft in der Küche, kümmert sich um den Garten, erledigt, wenn es nötig ist, in den Zimmern kleine Reparaturen. Abends um elf schließt er das Außentor ab und wird zu so etwas wie ein Nachtwächter. Er schläft in dem Käfterchen neben der Tür und öffnet, wenn sich einer der Gäste verspätet. Dafür gebe es eine Klingel. Stimmt schon, das sei für die Gäste ein bisschen lästig, doch so sei die Hausordnung nun einmal schon seit der Zeit von Madame Emmas Vater.
Ich erkundige mich, ob auch die Haustür abgeschlossen wird.
„Selbstverständlich!“, antwortet Madame Emma. „Jeder Gast hier hat einen Schlüssel, Monsieur.“
Daraus folgt, dass das einzige ernsthafte Hindernis für einen Außenstehenden das von Jonah abgeschlossene Eisentor ist. Aber auch das ist kein Hindernis, die Mauer zu
den Nachbargrundstücken ist nicht sonderlich hoch. Nachts ist die Pension verhältnismäßig leicht zugänglich.
Behutsam äußere ich meine Überlegungen. Madame Emma lächelt.
„Was gibt es schon zu stehlen, Monsieur! Der müsste ja verrückt sein.“
So gesehen hat sie recht, nur, dass mich die Sache von einer anderen Seite interessiert. Und Jonahs Nachtwachen gefallen mir nicht sonderlich. Ich frage ihn, wann der Doktor Enzo Larchey
Weitere Kostenlose Bücher