Das Pharma-Kartell
chemischen Analysen interessieren sich nicht für die Bedingungen des Versuchs, sondern für den Ertrag.
Es hält mich nicht länger zwischen diesen vier Wänden. Ich brauche Menschen, muss mit jemandem reden, um die Dinge von deren Seite zu betrachten. Und darf die Schlussfolgerungen nicht übereilen.
Langsam fange ich mich wieder und höre, dass auf dem Korridor ein reges Kommen und Gehen herrscht. Mittag ist vorbei, wahrscheinlich kehren die Leute aus der Kantine zurück. Ich mag jetzt an keine Kantine denken, aber vielleicht müsste ich auch etwas essen.
Einen Moment schwanke ich, ob ich die Journale zurückgeben soll. Heute können sie noch hier bleiben. Wenn sich jemand für sie interessiert hat, hat er sie längst Seite für Seite kopiert, und seine Experten haben sich bereits dazu geäußert, was Beachtung verdient und was nicht. Die Frage lautet anders: Was hat Larchey gemacht? Und ob er nicht vielleicht wirklich wegen dieser unklaren Serie Silbe Om entführt worden ist?
Larchey hat die Methodik in der ersten Versuchsserie verheimlicht. Das andere ist eine Auswirkung. Schluss, ich muss mir eine kleine Pause gönnen! Ich muss Mittag essen gehen. Bloß der Kaffee und die Hörnchen von Madame Emma, das hält nicht lange vor.
Ich klappe die Journale zu und gehe hinaus. Die Erregung klingt langsam ab, nach und nach komme ich wieder ins Gleis. Zwar denke ich noch immer an Larchey, aber der Lärm und die Leute mit ihren Gesprächen auf den Treppen schieben ihn in meinem Bewusstsein ein bisschen zur Seite. Die Kantine ist im Souterrain. Ich steige hinunter, und meine vom Nachdenken und der Hitze zermarterte Fantasie lässt vor mir einen prosaischen und völlig unmöglichen Gedanken entstehen: wenn es nun in der Kantine ein kaltes Bier gäbe?
So entstehen Fata Morganen!
Unten ist es verhältnismäßig kühl und nicht so voll, wie ich erwartet habe. Vor der Kasse steht natürlich eine Schlange, und zwar eine Schlange, die lebhaft das Ereignis des Tages diskutiert – irgendein Monte hat den Dampf aus der zweiten Sektion entweichen lassen. Manche nehmen ihn nachsichtig in Schutz – das könne jedem passieren, seine Leute arbeiten zwei Schichten durch, ohne Pause. Andere sind unnachgiebig. Bei ihm gebe es keine Ordnung, deshalb arbeiten sie zwei Schichten. Am wütendsten ist ein kräftiger Mann mit heiserer Stimme, der keine Rechtfertigung gelten lässt.
„Solche wie Monte“, erklärt er heiser, „müssten in das erste Flugzeug gesetzt werden, und ab nach Hause!“
Wie alle Schlangen zerfällt auch diese sogleich in zwei Parteien. Selbst ich verspüre das Verlangen , mich zu der Frage zu äußern.
Während die Geschichte mit diesem Monte durchgekaut wird, sind die Weinblätterrouladen alle. Kein Malheur, mir ist es einerlei, was ich esse. Noah erscheint mit einer Freundin, gleich dahinter tritt eine kleine Gruppe ein, in der auch Gabin und Frau Gaultier sind.
Die weiteren Ereignisse entwickeln sich so, wie es in einer Kantine und bei solchen Bekannten zu erwarten ist. Gabin und Frau Gaultier – wir grüßen uns selbstverständlich! – setzen sich zu ihren Begleitern, und zu mir kommt, nachdem ich mich an einem Tisch niedergelassen habe, Noah mit seiner Freundin und stellt sie familiär vor: „Gestatten Sie, Dr. Bouché? Meine neue Kollegin, Sophie, und das ist der Doktor Bouché aus Paris, von dem ich dir erzählt habe.“
Und ob er es ihr erzählt hat!, der und nichts erzählen! Noahs Kollegin ist fünf, sechs Jahre älter als er, eine sympathische junge Frau mit lebhaften braunen Augen und langen schwarzen Haaren. Sie hat Stiefel an, und auf ihrer einen Backe ist ein kleiner Ölfleck – sicherlich ist sie gerade unter dem Jeep hervorgekrochen.
Das Gespräch dreht sich um ganz gewöhnliche Dinge. Sophie sei soeben angekommen, zu Mittag, und habe gleich ihren Dienst angetreten.
„So ist das bei uns!“ Noah grinst pfiffig. „Wir sind ein Mangelberuf.“
„Es will mir einfach nicht in den Kopf“, sagt Sophie. „Heute Morgen war ich noch in Paris, hab’ an der Pont Alexandre III den Bus genommen, und jetzt bin ich hier.“
Ich mache eine banale Äußerung des Inhalts, dass die Welt klein geworden sei und es keine Entfernung mehr gäbe.
„Nun“, sage ich, „wo ihr jetzt zu zweit seid, wird es leichter!“
„Es ist zwar anders“, bestätigt Noah. Und fügt gönnerhaft hinzu: „Na ja, mit dem Vergaser muss sie noch zurechtkommen, aber sonst ist sie eine prima Kumpeline, wird schon
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