Das Pharma-Kartell
kenne diesen Ort besser als sie. Obendrein haben sie gar nicht viel Zeit für Nachforschungen – O’Sullivan kann jeden Augenblick zu reden anfangen. Sie gehen ein Risiko ein, nicht ich. Mich kann man schlimmstenfalls zurückrufen und degradieren, wenn mein verrückter Einfall ins Auge geht. Wär’ nicht so schlimm, ich bin schon mal degradiert worden.
Während mir diese nicht eben erheiternden Gedanken durch den Kopf gehen, sehe ich mich um, wie man in das Krankenhaus hineinkann. Nicht meinetwegen – die müssen ein Loch finden, durch das sie in O’Sullivans Zimmer im ersten Stock gelangen können. Durch den Personeneingang, der an der Seite liegt, ist es ausgeschlossen. Dieser Eingang wird gut bewacht, weil von da aus Treppe und Fahrstühle direkt in die Station führen. Durch die Praxen, wo ständig Kranke kommen und gehen, ist es ebenfalls gefährlich. Dort liegen die Fahrstühle wahrscheinlich so, dass sie durch die Aufnahme führen, wo ein Fremder sofort bemerkt wird. Durch den Park? Hinter dem Krankenhaus liegt ein von einer hohen Mauer eingefasster Park. Ein eisernes Doppeltor versperrt den Eingang. Ein Eingang, den ich mir nachher ansehen muss. Hier ist wahrscheinlich die Einfahrt für die Lastwagen zum Küchentrakt.
Die nächtlichen Bereitschaftspraxen liegen mit den anderen Praxen im Parterre. Dieser Eingang wird nicht bewacht wie der Personaleingang, weshalb auch. Nur ein verschlafener älterer Krankenpfleger in einem weißen Kittel steht an der Tür und sieht mich kaum an, als ich an ihm vorbeigehe.
Sofort umfängt mich die bekannte Atmosphäre von Anspannung, leichtem Karbolgeruch und gedämpften Stimmen. Über die frisch gebohnerten Korridore quietschen die Gummiräder von Krankenwagen.
Die chirurgische Nachpraxis ist zweite Tür links. Ich klopfe an und trete ein.
Eine ganz gewöhnliche Großpraxis. Hinter dem Schreibtisch sitzt eine dunkelhäutige Schwester und füllt ein Krankenblatt aus. Der Arzt untersucht auf dem Sofa einen stöhnenden Mann und wendet sich mir erst zu, als er mit der Untersuchung fertig ist. Er diktiert der Schwester etwas und sieht mich fragend an. Hier ist keine Zeit für lange Gespräche.
„Entschuldigen Sie, Herr Kollege“, sage ich. „Wahrscheinlich bin ich bei Ihnen angemeldet worden. Ich muss einen Fall in Ihrer Station sehen.“
„Doktor Dawud“, stellt sich mein Kollege vor, und wir geben uns die Hand. „Um wen handelt es sich?“
„Um O’Sullivan. Toby O’Sullivan. Er ist heute Nacht gegen drei eingeliefert worden.“
„Einen Moment.“ Dawud hebt die Hand. „Sie können sich anziehen“, sagt er, zu dem Kranken gewendet.
Er geht zum Schreibtisch und blättert das große Praxisjournal durch. Sein Blick gleitet über die Seiten.
„Toby…Toby O’Sullivan? Ja.“
Seine anfängliche Liebenswürdigkeit ist auf einmal weg.
„Tut mir leid, Herr Kollege, er steht unter Bewachung. Nur mit Genehmigung der Kommandantur.“
Das sind die vereinbarten Kontrollfragen. Ich zeige meine Karte vor, er vergleicht sorgfältig das Foto mit meinem Gesicht, dann nickt er zur Schwester hin.
„Mademoiselle Amina, führen Sie den Herrn Kollegen hinauf. Suchen Sie Schwester Bently, sie soll kommen und Sie vertreten, und sagen Sie dem Nächsten, er soll hereinkommen. Ich hoffe, das genügt, Herr Kollege?“
Es genügt. Doktor Dawud hat eine Möglichkeit gefunden, O’Sullivan rückdatiert ins Journal einzutragen. Das war es, was ich von ihm erfahren wollte.
Schwester Amina verschwindet für eine Minute und kommt mit einem weißen Kittel für mich wieder. Sie gibt den Kranken vor der Tür Anweisungen und führt mich zu den Aufzügen am Ende des Korridors.
An der Ecke, wo die Treppe einmündet, ist ein Kabüffchen für einen Pförtner. Hinter dem Schalter sitzt ein junger Mann, der die hereinkommenden beobachtet. Nichts Ernsthaftes. Es genügt, dass jemand einen Arzt-oder weißen Kittel anhat, um ungehindert passieren zu können.
Wortlos warten wir auf den Fahrstuhl. Schwester Amina ist eine junge, dunkelhäutige Frau mit strengen Zügen und kurz geschnittenem Haar, das unter die Haube gesteckt ist. Mit dieser Strenge und Resolutheit ähnelt sie Frau Gaultier. Sie ist noch jung, aber sicherlich schon eine Reihe von Jahren Krankenschwester, sie gehört zu den Menschen, die mit der Zeit ein Stück vom Krankenhausinventar werden und die man erst bemerkt, wenn sie einmal nicht da sind.
In der ersten Etage ist ein kurzer Korridor, von einer Tür mit Summer
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