Das Prinzip Selbstverantwortung
verhandeln und ggf. sogar die Zusammenarbeit abwählen. Ich kenne Unternehmen, in denen alle stöhnen – aber alle sind noch da. Warum?
Leiden ist leichter als Handeln.
Leiden ist aber nur für diejenigen leichter als Handeln, die das Bewusstsein der Wahlfreiheit verdrängt haben. Die Verantwortung haben sie trotzdem.
Verantwortlich ist mithin jeder nicht nur für das, was er tut, sondern auch für das,
was er unterlässt
. Wie oft höre ich nach einer Besprechung schon auf dem Weg zu den Autos dieses bekannte Sägegeräusch, mit dem an den gerade getroffenen Beschlüssen herumgesägt wird. In der Besprechung selbst aber haben dieselben Leute, die jetzt so eifrig sägen, den Mund nicht aufgemacht. Glauben aber nachher das Recht zu haben, die Beschlüsse zu kritisieren. Organisierte Unverantwortlichkeit: Diese Beschlüsse sind mit ihnen und durch sie zustande gekommen. Die Konsequenzen ihres Schweigens haben sie mitgewählt. Es war ihre Entscheidung. Jene, die naserümpfend beiseite stehen, die die bessere Lösung schon immer in der Tasche zu haben glauben, aber nicht herausrücken, alles andere hingegen lächerlich machen: Das sind Totengräber eines lebendigen Unternehmens.
Ich spreche hier nicht darüber, ob es klug ist, dass ein Chef in einem Meeting seine Durchsetz-Eloquenz gegenüber angepassten Mitarbeitern ausspielt. Ich spreche über die individuelle Verantwortung für Entscheidungen, die durch unser Schweigen so aussehen, wie sie aussehen. Und die wir loyal mitzutragen haben, wenn wir das Spielfeld Unternehmen, für das diese Entscheidung gilt, auch nach dieser Entscheidung weiter wählen. Gerade wir in Deutschland sollten wissen: Niemals macht der Diktator die Verhältnisse. Immer machen die Verhältnisse den Diktator.
Ein sehr sprechendes Bild für diesen Gedanken malt Hans Blumenberg in Ergänzung zu Äsops Fabel »Meeresbeschimpfung«:
Der Schiffbrüchige, auf den Strand geworfen, erwacht aus dem Schlaf der Erschöpfung und findet das Meer wieder ruhig. Da |48| wird er wütend, und er beschimpft, was ihn zerbrach. Die See erwidert dem Zornigen: »Schimpf nicht auf mich, sondern auf die Winde, denn ich bin von Natur nicht anders als die Erde. Doch jene fallen über mich her und wühlen mich zu wilden Wogen auf.« So endet Äsops Fabel. Hans Blumenberg führt sie weiter. Die Winde, getadelt, hätten noch das Wort haben müssen. Etwa so: »Die See ist nicht wie das Land. Wenn wir uns auf dieses stürzen, rührt es sich nicht. Wäre die See uns nicht gefügig, gäbe es keine Wogen, keine Schiffbrüche.«
Wer ist hier das ärmste Schwein?
Wie motiviere ich mich selbst? – Das heißt zunächst, bewusst zu wählen und die Verantwortung für die Konsequenzen zu übernehmen. Schwer genug – wenn man sich vielleicht jahrzehntelang als Opfer der Umstände erlebt hat. Denn die meisten Menschen im Unternehmen sind sich ihrer Wahlfreiheit nicht bewusst. Sie glauben schließlich, sie
müssten
das tun, was sie tun. Und es gibt zweifellos manche Umstände, die die Wahlfreiheit des einzelnen in Frage stellen: die oft unbewusste, ja vorbewusste Quelle des Wahlaktes in der Vergangenheit (»Das habe ich nicht gewählt, das ist mir passiert!«); die Konsequenzen und Folgen unseres bisherigen Lebensweges (»Da komme ich doch niemals raus!«); die Zwänge, die uns Tradition und Gewohnheit täglich auftürmen (»Das machen wir hier immer so!«); die Pläne für die Zukunft, an die wir unsere Erwartungen und Hoffnungen geknüpft haben (»Ich will doch im nächsten Jahr die Geschäftsführung übernehmen«). Auch Argumente von solcher Qualität: Erst die Frühjahrsmüdigkeit, dann die Sommerschlaffheit, gefolgt von der Herbstdepression bis zum Winterschlaf.
Oft ist Angst im Spiel. Da uns die Alternative verunsichert, da wir oft nicht wissen, was auf uns zukommt, versuchen wir den Status quo mit allen Mitteln zu rechtfertigen. Ein selbstsuggestives Versteckspiel findet statt: »Es geht nicht, weil …«. So treten wir auf der Stelle und verfangen uns im Programm »Keine Wahl!«. Rainer Werner Fassbinders gelebte Logik in »Angst essen Seele auf«: |49| Um der Angst auszuweichen, entmachten wir uns und machen uns zum Spielball scheinbar auswegloser Selbst-Entmachtung.
Der scheinbare »Vorteil« dieser Selbst-Entmachtung: Die anderen, die Umstände sind schuld! »Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit; das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten,« sagte einst George Bernard Shaw. Das selbst
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