Das Prinzip Terz
Mittwoch. Du vergisst nicht, mich abzuholen?«
»Bis Mittwoch.«
Über manche Dinge konnte er mit seiner Mutter nicht reden. Oder mit Elena. Eine Leiche auf der Terrasse zum Beispiel.
Am liebsten hätte Terz sich mit Alfred Kantusse auf ein paar Gläschen verabredet. Der ehemalige Chefredakteur, Theaterdirektor, Galerist, Konzertveranstalter und Bonvivant arbeitete seit einem Zusammenbruch vor zehn Jahren an seinem Opus Magnum und der Zerstörung seiner Leber. Er war der originellste, kontroverseste und intelligenteste Gesprächspartner, den Terz kannte, und einmal ein väterlicher Freund gewesen. Natürlich konnte er mit ihm, den er während eines Studienpraktikums kennen gelernt hatte, ebenso wenig über die Leiche auf seinem Balkon reden. Aber über moralische Dilemmata konnte er mit ihm diskutieren, ohne sich zu verdächtig zu machen. Und selbst wenn, bei Kantusse war ein Verdacht gut aufgehoben. Er wählte die Nummer des Freundes. Mit einem kranken Fiepen gab der Anrufbeantworter zu verstehen, dass niemand da war und der Speicher voll.
Er rief beim Illau-Verlag an und ließ sich zu seiner Lektorin durchstellen.
»Wenn Sie die Fotoabzüge der gestrigen Autogrammstunde haben, schicken Sie sie mir zum Signieren.«
Sammi und Michel Brüning warteten bereits in Terz’ Büro. Knut Perrell und Maria Lund kamen in Begleitung: Hinter Staatsanwalt und Marathonläufer Albert Finnen erschienen Bernd Söberg und Polizeipräsident Meffen.
»Herr Söberg ist auf Wunsch des Bürgermeisters hier«, erklärte der Staatsanwalt. Besonders heftig hast du dich gegen den Wunsch nicht gewehrt, dachte Terz und hatte im Hinterkopf, dass Finnen als ein Anwärter für den Posten des Oberstaatsanwaltes galt.
Der Assistent des Bürgermeisters gab den Besorgten. »Du hast doch nichts dagegen, Konrad?«
Was konnte er diesem freundschaftlichen Du entgegensetzen?
»Übersiedeln wir in das Besprechungszimmer. Hier wird die Luft sonst zu dick.«
»Wer leitet die Ermittlungen?«, wollte Meffen wissen.
»Ich«, drängte Sammi sich zwischen Terz und den Präsidenten.
»Sie sind – wer?«
»Ha-Hauptkommissar Erwin Samminger«, stotterte der überrascht, dass Meffen ihn nicht kannte.
Über Sammis Kopf versicherte sich Meffen: »Du hast das ja im Auge, Konrad.«
Sie hatten sich kaum um den Tisch des kleinen Konferenzraumes verteilt, als Sabine Krahne schnaufend eintrat. Wortlos ließ sie sich in einen Stuhl fallen. Alle Blicke richteten sich auf die Gerichtsmedizinerin.
»Lasst mich erst einmal zu Atem kommen.« Sie breitete Fotos und Grafiken auf dem Tisch aus. »Meine Vermutung mit dem Herzversagen war richtig.«
Söberg seufzte erleichtert auf. »Dann war es also ein natürlicher Tod. Akte geschlossen.«
»Bernd, bitte. Wir sind die Polizei«, wies Terz ihn zurecht. »Sabine?«
»Herzversagen, ja. Natürlicher Tod, nein.« Sie ließ ihre Worte wirken. »Ich tippe auf etwas, das ich nur aus der Fachliteratur kenne.«
»War es denn nun Mord?«, fuhr Söberg dazwischen.
»Bernd«, mahnte Terz. »Sabine, was sagt die Literatur?«
»Karotis-Sinus. Ein Reflex, der ausgelöst wird durch Druck auf die Halsschlagader im Bereich der Karotisgabel.« Ihr Finger glitt über eine anatomische Zeichnung. »An der Karotisgabelung messen feine Nerven den Blutdruck. Der erhöht sich momentan an dieser Stelle, wenn man dorthin drückt oder schlägt. Die Sensoren glauben allerdings an Bluthochdruck im ganzen Körper, und dieser senkt Blutdruck und Pulsfrequenz. Je nach Intensität des Drucks und Sensibilität des Betroffenen führt das zu Schwindel, Bewusstlosigkeit oder sogar Herzstillstand.«
»Klingt wie Mister Spocks Zaubergriff«, warf Knut Perrell ein.
»Bei hypersensiblen Menschen kann das Syndrom schon durch einen engen Kragen oder Drehen des Kopfes ausgelöst werden, bei jedem anderen durch einen heftigen Schlag oder Druck. Solche Fälle sind allerdings äußerst selten. Ein paar sind dokumentiert: Tritte von Pferden und Kühen, aber auch Karateschläge. Häufiger kommt es zu Komplikationen im Verlauf gewisser Sexualpraktiken.«
Terz studierte die Fotos von der Leiche mit dem Lederhalsband. »Und bei Sorius?«
»So wie er gefunden wurde, könnte man an einen Sexunfall denken. Vielleicht sollte man das auch.«
»Sollte?«
»Beim Sexunfall müsste man auch etwas wie Würgemale finden. Ich glaube, er wurde geschlagen. Wir haben eine Gewebeveränderung nur an dieser einen Stelle. Und den kleinen Bluterguss.«
»Das
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