Das Prinzip Terz
einem Dauerlauf durch. Zum Glück lief er heute allein, sein Zustand hätte ihn zu einem schlechten Gesellschafter gemacht. Montags lief er gelegentlich mit seinem Verleger Fred Illau um die Außenalster, den See im Herzen der Stadt, am Mittwoch häufig mit einem befreundeten Personalberater und Gründer eines exklusiven Zigarrenclubs. Der Donnerstagmorgen gehörte seit Jugendtagen einer Ruderpartie im Vierer mit seinen drei besten Freunden. Am Freitag joggte er abwechselnd mit verschiedenen Bekannten, allein oder gar nicht. Samstag war Ruhetag. Wenn er sonntags lief, dann allein. Das war die beste Gelegenheit, Gedanken zu sortieren und Ideen zu gebären.
Er schnallte den Discman um und entschied sich nach kurzem Erwägen zwischen Mozart und Motown für Letzteres. Die Soulmelodien korrespondierten wunderbar mit dem dunklen, ruhigen Wasser der Außenalster, auf das die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen. Doch auch die Musik und der Rhythmus seines Schritts befreiten seinen Kopf nicht. Was hatte Göstrau gestern Abend gesagt? Er stand für Recht und Ordnung. Und er stand sogar für deren sympathische Seite. Die Menschen vertrauten ihm.
Er hatte eine Leiche auf seiner Terrasse versteckt.
Terz stellte lauter und beschleunigte das Tempo.
Wie jeden Morgen holte er nach dem Sport die Zeitung aus dem Briefkasten und überflog sie im Fahrstuhl. Auf Seite fünf fand er den Artikel über Sorius’ Tod. Ein paar Absätze bedauerten die entstandene Lücke im gesellschaftlichen Leben Hamburgs, ein Foto zeigte Sorius mit zwei attraktiven Models im Arm. Kein Wort über die Umstände seines Todes.
Die Lokalseiten berichteten über Terz’ Autogrammstunde inklusive Bild, auf dem er der Kamera sein Buch präsentierte. Terz nahm das Knarren und Fauchen des alten Aufzugs nicht mehr wahr, als die Szene vom Vortag in seinem Kopf wieder auferstand: Der Kameramann hatte ihn beim Händeschütteln gefilmt.
Er hatte Sandel die Hand gegeben.
Aber es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn man diese Verbindung je entdeckte!
Er musste nur diese Leiche loswerden.
Nach einem Stehkaffee brachte er seine Mutter, die bei ihnen übernachtet hatte und an diesem Morgen nach München flog, zum Flughafen.
»Ich habe dir die Unterlagen dagelassen«, erklärte sie auf halbem Weg.
»Was für Unterlagen?«
» GRDW «, erinnerte sie ihn nachsichtig. »Den Kindern habe ich auch welche gegeben. Sie können sie in der Schule verteilen, an die Lehrer, an die Eltern ihrer Schulkameraden –«
»Mutter!«
»Sie waren ganz begeistert.«
Terz wählte auf seinem Handy, das in der Freisprechanlage montiert war.
»Weißt du, das Ganze macht ja nur Sinn, wenn möglichst viele teilnehmen. Jeder muss sich verweigern, das ganze Land –«
»Pronto?« Elenas Stimme schwebte elektronisch verzerrt durch das Auto.
»Schatz, Mutti hat die Kinder mit ihrem Papierkram zu GRDW -Propaganda-Agenten umfunktioniert. Sie sollen das Zeug in der Schule verteilen.«
»Grdr-wer?«
» GRDW «, buchstabierte Terz’ Mutter.
»Nimm ihnen das Zeug bitte ab.«
»Elena-Schatz«, flötete Berthe Terz. »Du kannst die Engelchen ruhig machen lassen. Es ist eine gute Sache.«
»Mutter!«
»Was ist GRDW ?«
»Das siehst du dann schon.«
»Dann lässt sie die Engelchen auch machen.«
»Tut sie nicht.«
»Du wirst den Erfolg von GRDW nicht verhindern können.«
»Nimm ihnen das Zeug bitte einfach weg«, sagte er noch einmal in den Raum, dann schaltete er das Handy ab. Sie fuhren die Rampe zum Abflugterminal hoch. Seine Mutter begann in ihrer Handtasche zu kramen.
»Hier sind die Schlüssel zum Haus. Du schaust einmal vorbei, ja?«
»Ich habe doch einen Schlüssel.«
»Ach so, stimmt. Wenn du bitte den Garten einmal gießt und die Blumen im Haus.« Terz drängte sich zwischen die Taxis und hielt vor dem Terminal.
»Und die Post. Wenn die keiner rausnimmt, merkt doch jeder sofort, dass niemand zu Hause ist. Eine Einladung für Einbrecher. Du musst das ja wissen, du hast die Bücher darüber geschr–«
»Ja, Mutti.« Er lud ihren Koffer auf einen Gepäckwagen und begleitete sie in die Halle.
»Ich hätte ja die Nachbarn gebeten, die Baers, du kennst sie, aber sie sind im Urlaub, und deshalb ist niemand da. Aber für dich ist es ja ohnehin nicht weit, und es ist ja immer nett, mal wieder nach Hause zu kommen, nicht wahr? Du musst mich nicht begleiten. Ich bin ja kein Kind mehr.«
»Tu ich doch gern.«
Sie küssten sich zum Abschied auf die Wange.
»Bis
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