Das Prinzip Uli Hoeneß
vor allem auch Blitzableiter: der Mann, der die Pfeile bewusst auf sich zog, um Schaden vom Verein zu nehmen. »Keine Frage, dass ich mich damit angreifbar gemacht habe«, meinte er – und nahm es wie ein unabänderliches Schicksal.
Hinter der Hoeneß’schen Wut stecken also durchaus Vorab-Gedanken, und die sind nicht nur defensiv orientiert, sondern durchaus auch offensiv. Ein schönes Beispiel datiert aus dem Dezember 1998, als sich die Münchner mit den von Christoph Daum trainierten Leverkusenern in der Bundesliga ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten. Kurz vor dem direkten Duell der Rivalen hatte Bayer die Bayern an der Tabellenspitze abgelöst, doch Hoeneß ließ sich davon nicht weiter beeindrucken. In einem Interview zum anstehenden Bundesligagipfel packte er gegen Daum die richtig schweren Provokationskaliber aus der Munitionskiste. »Nächsten Sonntag gibt es Feuer für ihn«, begann er voller Angriffslust und setze ein dickes Ausrufezeichen seines Selbstbewusstseins: »Da freue ich mich schon drauf!« Es könne nur einen Sieger geben, und natürlich gab es für ihn keinerlei Zweifel, wer der sein würde. »Leverkusen ist offiziell Tabellenführer genau bis zum Spielende – keine Minute länger. Bis dahin kann er die Tabelle anschauen und genießen. Danach ist er wieder auf Platz zwei, wo er hingehört.« Daum erwiderte nichts – und genau das entsprach dem Kalkül des Bayern-Managers. »Den Daum habe ich ganz bewusst attackiert«, erläuterte er einige Zeit später mit dem Stolz des ausgefuchsten Siegers einem Reporter. Er sei davon ausgegangen, so Hoeneß, dass Daum nicht zurückkeilen würde, »sondern den Druck an die Mannschaft weitergeben würde. Nach zehn Minuten waren vier seiner Spieler verwarnt – und wir gewannen ohne Probleme 2:0. In solchen Momenten«, tat der mit sich selbst äußerst zufriedene Sieger grinsend kund, »finde ich mich richtig gut.«
Die »Abteilung Attacke«, so zeigt dieses Beispiel, ist also keineswegs nur der Ausdruck unkontrollierter Emotionen, sondern ein bewusst eingesetztes taktisches Instrument im Kampf um die Bundesligavorherrschaft. »Meine Attacken sind zu 99,9 Prozent alle durchdacht«, behauptete er einmal. »Bei einem Spiel überlege ich mir in der zweiten Halbzeit schon, was ich nachher sage.« Und zugleich brüstete er sich: »Ich zettele nur einen Krieg an, von dem ich überzeugt bin, dass ich ihn auch gewinne.« Dass er sich dadurch im Nebeneffekt gezielt unbeliebt machte, nahm er gleichsam unabwendbare Gegebenheit hin. »Ein Bayern-Manager, der erfolgreich sein will, kann nicht Everbody’s Darling sein.« Tatsächlich tat er alles nur Erdenkliche, um sich Feinde zu schaffen. Beispielsweise durch die Methode, erst ganz bewusst zu provozieren und alle in helle Aufregung zu versetzen, um dann unschuldig zu behaupten, er habe doch alles gar nicht so gemeint. In dieser Art verlief etwa die berühmte Geschichte mit dem Fernglas. Das seriöse »Handelsblatt« zitierte aus der Rede, die Hoeneß am Abend des 8. Mai 2007 beim ersten Allianz-Arena-Business-Talk hielt, folgende Passage: »Nächstes Jahr wird es bei uns eine klare Devise geben – und das vom ersten Spieltag an: Wir müssen dafür sorgen, dass wieder das Wehklagen einsetzt, wenn die anderen uns in der Tabelle mit dem Fernglas anschauen. Die Meisterschale ist nur ausgeliehen.« Das war durchaus als arrogante Kampfansage zu lesen und sicher auch so gemeint, Hoeneß aber wurde anschließend nicht müde, schulmeisterlich zu korrigieren: Niemals habe er behauptet, dass die Gegner »uns mit dem Fernglas suchen werden«, sondern: »Es wäre ein Traum, wenn uns die Gegner mit dem Fernglas suchen müssten.« Wer Uli Hoeneß so versteht, wie er es gemeint hat, der muss sich, so ist zu schließen, auch noch des bewussten Missverstehens zeihen lassen.
Wer so konsequent auf Polarisierung setzt wie Uli Hoeneß, so viel liegt auf der Hand, hat Prinzipielleres im Sinn. Der Bayern-Manager mimte den bösen Buben in der Seifenoper Bundesliga sicher nicht zufällig, sondern er manipulierte die Medienmaschinerie mit seinen provokanten Sprüchen ganz gezielt und in hoher Zuverlässigkeit. In einem Doppel-interview äußerte Willi Lemke diesbezüglich sogar einmal seine Bewunderung. »Die Tatsache, dass es den Bayern gelungen ist, aufgrund der starken Polarisierung dauernd Supereinschaltquoten zu erzielen, bringt sie in Vorteil. Diese Polarisierung in Liebe und Hass, Herr Hoeneß, das war Ihre genialste Werbeidee, und
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