Das Prinzip Uli Hoeneß
seinem alten Kumpel Paul Breitner. »Wer mich privat kennt, der weiß, dass ich supertolerant bin. Speziell zu Leuten, mit denen ich Probleme hatte«, meinte er kurz vor seinem 50. Geburtstag, als zwischen ihm und Breitner wieder einmal eine längere Funkstille herrschte. Breitner hatte sich zwei Jahre zuvor im Zuge der Daum-Geschichte sehr unsolidarisch verhalten, und Hoeneß grollte noch. Aber, meinte er nun, wenn der Paul zu seiner Party kommen sollte, dann werde er ihm »selbstverständlich die Hand reichen«. Uli Hoeneß war in der Regel nicht nachtragend, ein Konflikt allein war für ihn noch kein ausreichender Grund, um jemanden dauerhaft aus dem Kreis der Familie auszustoßen. Solange eine offene Auseinandersetzung möglich blieb, gab er jeder Beziehung noch eine Chance. »Ich bin ein Freund einer guten Streitkultur. Das ist das Wichtigste im Leben, dass man sich ordentlich die Meinung sagt und dann eine Maß Bier zusammen trinkt. Das liebe ich.«
In Fällen grober Nestbeschmutzung fiel ihm das Verzeihen natürlich extrem schwer. Das zeigte sich bei unverbesserlichen »schwarzen Schafen« wie Mario Basler und zuweilen auch bei Personen aus dem Randbereich der Familie. Als der FC Bayern mit schlechten Leistungen und Negativ-Schlagzeilen in die Saison 2008/09 gestartet war und trotz eines glücklichen 1:0 in Karlsruhe am achten Spieltag nur den elften Platz belegte, war Hoeneß’ Nervenkostüm zum Zerreißen gespannt. Da kam ihm ein Mitarbeiter des FC-Bayern-TV gerade Recht, der fragte, ob er soeben die »Dusel-Bayern« erlebt habe. »Sie sind wirklich vom FC-Bayern-TV?«, fragte er voller Empörung mehrmals nach und konnte es nicht fassen – um schließlich noch im Affekt eine unmittelbare Konsequenz zu ziehen: »Sie müssen sich in der nächsten Woche einen neuen Job suchen.« Arbeitsrechtliche Konsequenzen hatte die Szene dann letztlich doch nicht, zumal der Kritisierte kein Angestellter des FC Bayern war und allein schon deswegen von Hoeneß nicht hätte entlassen werden können. Laut Bayern-Mediendirektor Markus Hörwick sei Hoeneß zwar verärgert gewesen, habe sich aber später zu einem Interview mit dem freien Bayern-Mitarbeiter getroffen; die Angelegenheit sei dabei wieder bereinigt worden.
Noch weit schlimmer als eine Nestbeschmutzung empfand Hoeneß den Missbrauch seines Vertrauens. Verlässlichkeit war eines der Grundprinzipien im Moralkosmos des Bayern-Managers. »Hoeneß zählt zu den ganz wenigen Menschen in dieser Branche«, so der Sportanwalt Christoph Schickhardt, »auf deren Wort man sich hundertprozentig verlassen kann.« Wer Hoeneß’ Freund werden – oder bleiben – wollte, der musste es ebenso halten. Sein Prinzip: Wen er in sein Vertrauen einbezieht, der gehört in gewisser Weise bereits ein wenig zur Familie; und wer das nicht zu schätzen und die Moral der Familie nicht zu wahren weiß, der wird ausgestoßen werden, rigoros und konsequent. Einmal, in einer Silvesternacht am Münchner Platzl, als der Feuerwerkfan Hoeneß gerade eine enorme Rakete zünden wollte, fragte ein Reporter, was denn nun aus dem Trainer Hitzfeld werde. Dieser Reporter war ein alter Vertrauter, Hoeneß kannte ihn schon seit Jahrzehnten, und der Reporter musste die Gesetze der Bayern-Omertá kennen. »Klar war, dass nichts geschrieben wird«, erzählte er von dem Schweigegelübde, das er dem Mann zur Sicherheit noch mal ausdrücklich abverlangt hatte. In der Zeitung stand zwei Tage später: Hitzfeld geht. Hoeneß’ Reaktion war unerbittlich: »Er hat eine schöne Geschichte gehabt und er hat einen Menschen verloren. Mit dem rede ich nicht mehr. Nie mehr. Keine Chance.«
Der Verein als Spielerfamilie
In den siebziger Jahren standen sehr viele bayerische bzw. in Bayern assimilierte Spieler im Kader des Münchner Meisterklubs, und genau diese Spieler, so der ehemalige Bayern-Präsident Fritz Scherer, die voll hinter dem Verein standen und »stolz waren, für Bayern München zu spielen«, brachten eine besondere Mentalität ein. Es ist wohl kaum zu bestreiten, dass der Aufstieg der Bayern mit diesen Spielern und deren Mentalität unmittelbar zusammenhängt. Und sicherlich ist die Tatsache, dass die Bayern sich dann auf der einmal erreichten Höhe hatten halten können, ebenfalls zu einem großen Teil auf das Engagement dieser Spieler, von denen ja viele dem Verein auch noch nach der Karriere erhalten blieben, zurückzuführen. Alle, die im Führungsbereich Verantwortung übernahmen – selbst der immer
Weitere Kostenlose Bücher