Das Prometheus Mosaik - Thriller
Zweifel. Weil die Alternative – nämlich nichts zu tun und den Dingen ihren geplanten Lauf zu lassen – schlicht grausam gewesen wäre, unmenschlich im vielleicht wahrsten Sinne des Wortes.
Hingegen war seither kein Tag vergangen, an dem sie sich vor dem Zubettgehen nicht gefragt hatte, ob sie es richtig gemacht hatte seinerzeit. Und doch kam sie immer nur zur selben Antwort: Es hatte keine andere Möglichkeit gegeben.
Keine jedenfalls, bei der sie heute nicht auf Pauls Rückruf und Reaktion hätte warten müssen. Bisher vergebens …
Sie verrieb den Rest der Feuchtigkeitscreme zwischen ihren vom tagtäglichen Umgang mit Ton, Holz und Stein rauen Händen, dann schloss sie die Tür ihres kleinen Schlafzimmers hinter sich. Andere hätten vielleicht nicht einmal von einem Zimmer gesprochen, sondern allenfalls von einer Kammer, und einer winzigen noch dazu. Tatsächlich war dieses Zimmer unmittelbar nach dem Bau der Villa vor über hundert Jahren die Unterkunft eines Dienstboten gewesen. Heute schlief Katharina als Herrin des Hauses darin, weil es ihr gefiel, weil sie sich wohl fühlte darin. So wie sie sich überhaupt in kleinen Räumen wohler fühlte als in großen, weitläufigen, die ihr das unangenehme Gefühl gaben, sich darin verlaufen zu können wie in einem Labyrinth mit unsichtbaren Wänden – und von denen es in der Villa mehr gab, als ihr heute lieb war.
Damals hatte sie ein großes Haus gewollt, weil sie gewusst hatte, dass sie voraussichtlich die meiste Zeit darin verbringen würde. Dementsprechend hatte sie Wert darauf gelegt, viel Bewegungsfreiheit in ihren eigenen vier Wänden zu haben. Im Lauf der Jahre hatte sie sich allerdings zunehmend verloren gefühlt, und längst wünschte sie, sich damals für etwas Kleineres entschieden zu haben. Ein Umzug kam jedoch nicht in Frage, nicht mehr. Denn das hätte bedeutet, ihre Welt verlassen und den Fuß hinaus in die Welt da draußen setzen zu müssen …
Sie schauderte, löschte das Licht und schlüpfte rasch ins Bett, wo sie sich die Decke bis unters Kinn zog. Ihre Augen gewöhnten sich binnen Sekunden an das Halbdunkel, in dem die Masken an den Wänden erst aussahen wie noch dunklere Löcher, aus denen sich allmählich Gesichtszüge herausbildeten. Einige der Masken waren ohne Vorbild entstanden und einzig ihrer Fantasie entsprungen, andere hatte Katharina den Gesichtern von Menschen nachempfunden, die ihr irgendwo und irgendwann einmal begegnet waren. Und eine der Masken entsprach Theos Gesicht.
Und Pauls …
Die Ähnlichkeit war in der Tat verblüffend, ging es ihr einmal mehr durch den Kopf, als der nahende Schlaf ihre Gedanken schon wohlig einlullte.
Die Ähnlichkeit zwischen Theo und Paul, die sich fast nur durch den Haarschnitt voneinander unterschieden und darin, dass Pauls Züge – so weit sich das anhand des unvorteilhaften Zeitungsfotos beurteilen ließ – eine Spur weicher waren als Theos.
Doch gerade wegen der Härte in seinem Gesicht, die ein Spiegelbild seines scharfen Intellekts war, sah Theo ein bisschen mehr aus wie …
… sein Vater.
Der Schlaf übermannte Katharina, doch dann schreckte sie noch einmal auf unter dem Eindruck eines kurzen Traums, in dem sie auf der obersten Stufe einer Treppe das Übergewicht bekam und hinabstürzte. Schließlich schlief sie ganz ein in der Hoffnung, es möge Pauls Anruf sein, der sie wecken würde.
Als sie wieder wach wurde, meinte sie, tatsächlich vom Läuten des Telefons geweckt worden zu sein. Sie lauschte in die Dunkelheit, die Hand schon nach dem Apparat neben ihrem Bett ausgestreckt. Doch sie hörte weder ein Klingeln noch irgendein anderes Geräusch.
Trotzdem nahm sie den Hörer ab. Aber nicht einmal daraus drang ein Ton hervor. Das Telefon war tot.
Katharina hielt den Atem an. Regnete es draußen? Herrschte ein Gewitter, oder war eines vorbeigezogen, während sie geschlafen hatte, und war das Telefon infolge eines Blitzschlags ausgefallen? Das war schon einmal vorgekommen …
Doch in der Welt draußen war es allem Anschein nach so still wie im Haus. Kein Plätschern von Regen, kein fernes Donnergrummeln. Nichts.
Da das Telefon nun einmal tot war, konnte demnach auch niemand angerufen haben.
Aber es war jemand im Haus.
Katharina wusste es, als sie den hallenden, schleifenden Tritt auf einer der Marmorfliesen des Schachbrettmusterbodens in der Eingangshalle hörte. Und das Geräusch eines vorherigen Schrittes mochte auch das gewesen sein, was sie in Wahrheit geweckt hatte.
Im
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