Das Prometheus Mosaik - Thriller
Mosaikflamme. Dann fuhr sie sacht mit dem Pinsel über die bestäubte Fläche – und war so vermessen, um ein viertes Wunder zu bitten.
Lieber Gott, Herr Jesus, bitte …
Das, was sie zu sehen, sichtbar zu machen gehofft hatte, wollte sich nicht zeigen.
Dann: Danke …!
Fingerabdrücke waren auf vielen der blanken Steinchen zu sehen. Aber lediglich an sechs Stellen massierten sie sich, waren es so viele, dass sie sich überlagerten und nicht als einzelne Abdrücke zu erkennen waren.
Und jetzt …?
Kam es auf die richtige Reihenfolge an?
Fio schloss die Augen. Beschwor herauf, was sie gestern beobachtet hatte. Da war Döberin; er stand mit dem Rücken zu ihr vor der Wand. Sein linker Arm hob sich, bewegte sich. Von oben nach unten.
Also dann …
Oben. Links. Rechts. Zurück zur Mitte, nur tiefer. Dann wieder links und noch einmal rechts.
Die Steinchen ließen sich nicht leicht drücken, Fio musste etwas Kraft aufwenden, sie bewegten sich kratzend in ihren Fassungen, trafen dann auf federnden Widerstand und rasteten in ihrer ursprünglichen Position wieder ein.
Weiter geschah nichts.
Wie war das gestern noch gewesen? Hatte die Wand sich sofort aufgetan, oder hatte es eine Verzögerung gegeben?
Fio erinnerte sich nicht, sie war viel zu aufgeregt gewesen. Doch musste letzteres der Fall gewesen sein, die Wand hatte sich nicht augenblicklich vor Döberin geöffnet.
So wie sie es jetzt tat, da Fio schon enttäuscht einen Schritt zurückgetreten war.
Nun, da sie unmittelbar davorstand, hörte sie das Reiben von Stein auf Stein wie Donnergrollen, dazu das Ächzen eines fraglos alten Mechanismus, von knarrenden Seilzügen, knirschenden Zahnrädern.
Bis das Wandfragment zur Ruhe kam, wieder Stille einkehrte und der Weg dahinter frei lag.
Der Weg war kurz. Drei, höchstens vier Meter weit führte er ins ausgehöhlte und vermauerte Erdreich hinein, wo er vor einer Treppe endete. Diese Treppe unterschied sich von der, über die man zu Döberins Labor hinabstieg. Sie war breit, es gab Treppenabsätze, die genug Platz zum Manövrieren boten, wenn man etwas Sperriges hinunter- oder herauftransportieren wollte.
Aber es gab keine Abzweigung, keinen Seitengang, der anderswo hingeführt hätte. Das erleichterte Fio die selbst gestellte Aufgabe. Wenn sie herausfinden wollte, was Döberin versteckte, blieb ihr kein anderer Weg als diese Treppe.
Also stellte sie sich ein weiteres und nun letztes Mal die Frage, ob sie das wirklich wollte. Welchen Gewinn sie davon hätte, wenn sie Döberins Geheimnis lüftete.
Weil mich die Frage, was Döberin zu verheimlichen hat, nie mehr loslassen wird, wenn ich nicht versuche, eine Antwort darauf zu finden …
Fio hatte den Gedanken noch gar nicht richtig zu Ende geführt, als sie sich schon auf der Treppe wiederfand.
Sie hatte nicht gewusst, dass sie so neugierig war, dass Neugier so stark sein, solche Macht über einen gewinnen konnte. Für wissbegierig hatte sie sich immer gehalten, das war ihre Gabe gewesen, der Wunsch zu lernen, alles kennenzulernen, zu erfahren. Im Stift hatte sie alle Antworten, die sie gesucht hatte, aus Büchern, von der Oberin und den Schwestern und oft auch im Gebet erhalten. Jetzt, in der großen, weiten Welt, boten sich ihr andere, mehr Möglichkeiten als in der kleinen des Sankt-Anna-Stifts – und dementsprechend mehr wollte Fio nun wissen.
Wie weit sie auf der Suche nach Wissen gehen würde, hatte sie nicht geahnt.
Nur, war es denn wirklich gefährlich? Was würde Döberin schlimmstenfalls mit ihr tun, käme er ihr auf die Schliche? Was konnte er ihr schon tun?
Das kommt wohl darauf an, was er vor der Welt versteckt …
Der Gedanke schlich wie etwas Kaltes hinter ihrer Stirn vorbei.
Vor der Welt.
Versteckte Döberin tatsächlich vor der ganzen Welt etwas oder nur vor …
Vor wem …?
Ein Rätsel, das sich lösen würde, wenn Fio gefunden hatte, worum es ging. Im gleichen Zuge würde sie auch erfahren, warum er es tat.
Eine Vermutung, die so nicht stimmte. Das war es, was Fio als Erstes herausfand, als sie zehn Schritte vom Fuß der Treppe entfernt war. Auch von dort aus führte lediglich ein Gang weiter.
Sie blieb stehen, zögerte. Ließ den Ort auf sich wirken, sog den Geruch ein; so roch es auf Baustellen, in Rohbauten, nach Mörtel und Staub, nach Erdaushub.
Fio wusste, sie hatte nicht bloß eine Schwelle übertreten, sondern viel mehr noch eine Grenze, über die womöglich kein Weg mehr zurückführte.
Angst vor der bloßen
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