Das Rad der Zeit 0. Das Original: Der Ruf des Frühlings. Die Vorgeschichte (German Edition)
hatten kaum einen Blick für den Wein übrig, den Moiraine ihnen gereicht hatte, bevor sie ablehnen konnten, daher behielt sie den Becher in der Hand, obwohl sie nicht glaubte, dass sie einen Schluck hinunterbekommen würde.
Cadsuane runzelte die Stirn, ein beängstigender Anblick. »Seit tausend Jahren ist keine mehr in die Burg gekommen, die es mit mir aufnehmen könnte. Seit fast sechshundert niemand mehr, der Meilyn oder Kerene ebenbürtig wäre. Vor tausend Jahren hätte es fünfzig Schwestern oder mehr gegeben, die höher einzustufen gewesen wären als dieses Kind. Aber in weiteren Hundert Jahren wird sie die erste Stelle einnehmen. Oh, vielleicht findet sich bis dahin eine Stärkere, aber es werden keine fünfzig sein. Und vielleicht findet sich gar keine. Wir sterben aus.«
Moiraines Ohren brannten. Wusste Cadsuane eine Lösung für das Problem? Aber wie könnte eine Lösung mit ihr zu tun haben?
»Ich verstehe nicht«, sagte Larelle schneidend. Sie schien sich gefasst zu haben und wütend über ihre vorherige Schwäche zu sein. »Wir alle sind uns dieses Problems bewusst, aber was hat Moiraine damit zu tun? Glaubt Ihr, sie kann irgendwie mehr Mädchen dazu bringen, in die Burg zu kommen, Mädchen mit … einem stärkeren Potenzial?« Zu den letzten Worten musste sie sich zwingen, und ihr Schnauben verriet, was sie davon hielt.
»Ich würde bedauern, wenn sie verheizt wird, bevor sie oben von unten unterscheiden kann. Die Burg kann es sich nicht leisten, sie wegen ihrer eigenen Naivität zu verlieren. Seht sie euch an! Ein hübsches Püppchen von einer Adligen aus Cairhien.« Cadsuane legte Moiraine einen Finger unter das Kinn und stemmte es hoch. »Bevor Ihr in dem Aufzug einen Behüter findet, Kind, wird Euch ein Straßenräuber, der den Inhalt Eures Geldbeutels sehen will, einen Pfeil durchs Herz schießen. Ein Straßenräuber, der beim Anblick einer schlafenden Schwester ohnmächtig werden würde, wird Euch eins über den Schädel geben, und Ihr werdet ohne Gold und vielleicht noch anderen Dingen in einer dunklen Gasse aufwachen. Ich nehme an, Ihr wollt Euren ersten Mann mit ebenso großer Sorgfalt auswählen wie Euren ersten Behüter.«
Moiraine schrak zurück und gab ein peinlich berührtes Stammeln von sich. Zuerst sie und Siuan, und jetzt das. Es gab Dinge, über die redete man, und Dinge, über die redete man nicht!
Cadsuane schenkte ihrer Entrüstung keinerlei Beachtung. Sie nippte gelassen an ihrem Wein und drehte sich wieder zu den anderen um. »Bis sie einen Behüter gefunden hat, der ihr den Rücken freihält, wird es das Beste sein, sie vor ihrem eigenen Übereifer zu beschützen. Ihr beiden seid doch nach Chachin unterwegs. Dann wird sie mit Euch reisen. Ich erwarte, dass Ihr sie nicht aus den Augen lasst.«
Endlich fand Moiraine ihre Sprache wieder, aber ihr Protest nützte ihr so wenig wie ihre Empörung. Merean und Larelle erhoben ebenfalls Einwände, und nicht weniger wortreich. Aes Sedai, wie frischgebacken auch immer, brauchten niemand, der sich um sie kümmerte. Sie hatten eigene Belange, um die sie sich kümmern mussten. Worum es sich dabei handelte, sagten sie nicht – die wenigsten Schwestern hätten das getan –, aber sie wollten eindeutig keine Gesellschaft. Cadsuane nahm nichts zur Kenntnis, was sie nicht hören wollte, ging davon aus, dass sie tun würden, was sie verlangte, und war mit einem neuen Argument zur Stelle, wenn sich ihr die Gelegenheit dazu bot. Nach kurzer Zeit wanden sich die beiden auf ihren Stühlen und sagten nur noch, dass sie einander erst gestern getroffen hätten und nicht sicher seien, ob sie zusammen weiterreisen würden. Jedenfalls hätten beide vor, zwei oder drei Tage in Canluum zu bleiben, während Moiraine noch heute aufbrechen wolle.
»Das Kind wird bleiben, bis ihr abreist«, sagte Cadsuane brüsk. »Gut, dann wäre das erledigt. Ich bin sicher, Ihr beiden wollt Euch um das kümmern, was Euch nach Canluum geführt hat. Ich werde Euch nicht aufhalten.«
Larelle rückte beleidigt die Stola zurecht, weil sie so unvermittelt entlassen worden war, dann stolzierte sie hinaus und murmelte, dass Moiraine es bedauern werde, sollte sie im Weg sein oder ihre Ankunft in Chachin irgendwie verzögern. Merean nahm es besser auf und versicherte sogar, dass sie sich Moiraines wie einer Tochter annehmen werde, obwohl ihr Lächeln alles andere als freundlich aussah.
Als sie fort waren, starrte Moiraine Cadsuane fassungslos an. So etwas hatte sie noch nie
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