Das Rad der Zeit 12. Das Original: Sturm der Finsternis (German Edition)
Ebou Dar, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Auf dem Palastgelände mit seinen weißen Gehwegplatten – weiß wie so viele Oberflächen in dieser Stadt – übte eine Gruppe altaranischer Waffenmänner in Gold und Schwarz unter den aufmerksamen Blicken eines ihrer eigenen Offiziere Formationen. Jenseits von ihnen erhob sich die Stadt, weiße, mit bunten Streifen versehene Kuppeln breiteten sich neben hohen weißen Türmen aus.
Ordnung. Hier in Ebou Dar herrschte Ordnung, selbst in den Feldern aus Zelten und Wagen vor der Stadt. Seanchanische Soldaten patrouillierten und hielten den Frieden aufrecht; es gab Pläne, den Rahad zu säubern. Nur weil jemand arm war, war das noch lange kein Grund – oder eine Entschuldigung –, ohne Gesetz zu leben.
Aber diese Stadt war nur eine winzige Nische der Ordnung in einer Welt des Sturms. Seanchan selbst wurde vom Bürgerkrieg erschüttert, jetzt, da die Kaiserin gestorben war. Die Corenne war eingetroffen, aber die Zurückeroberung der Länder Artur Falkenflügels schritt nur langsam voran, im Osten vom Wiedergeborenen Drachen aufgehalten, im Norden von den Heeren der Domani. Noch immer wartete sie auf Neuigkeiten von Generalleutnant Turan, aber die Zeichen standen nicht gut. Galgan beharrte auf der Ansicht, dass das Ergebnis sie möglicherweise überraschen würde, doch Tuon hatte in der Stunde, in der man sie über Turans gefährliche Lage unterrichtete, eine schwarze Taube gesehen. Das Omen war klar. Er würde nicht lebend zurückkehren.
Chaos. Sie schaute zur Seite, wo der treue Karede in seiner Rüstung stand, die blutrot und in einem fast schon schwarzen Dunkelgrün lackiert war. Er war ein großer Mann, das kantige Gesicht beinahe so massiv wie die Rüstung, die er trug. An diesem Tag – dem Tag nach Tuons Rückkehr nach Ebou Dar – hatte er zwei Dutzend Totenwächter dabei, zusammen mit sechs Ogier-Gärtnern, und sie alle hatten sich an den Wänden aufgereiht. Sie säumten die Seiten des Raumes mit den weißen Säulen und der hohen Decke. Karede spürte das Chaos, und er hatte nicht vor, sie noch einmal entführen zu lassen. Chaos war immer dann am tödlichsten, wenn man darüber Vermutungen anstellte, was es infizieren konnte und was nicht. Hier in Ebou Dar hatte es sich in Gestalt einer Fraktion manifestiert, die Tuon das Leben nehmen wollte.
Attentatsversuche hatte sie abgewehrt, seit sie laufen konnte, und sie hatte sie alle überlebt. Sie rechnete mit ihnen. In gewisser Weise blühte sie wegen ihnen sogar auf. Wie sollte man denn sonst wissen, dass man mächtig war, wenn keine Attentäter ausgeschickt wurden, um einen umzubringen?
Aber Suroths Verrat … In der Tat herrschte das Chaos, wenn sich die Anführerin der Vorläufer selbst als Verräterin erwies. Es würde sehr schwierig werden, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Vielleicht sogar unmöglich.
Tuon drückte den Rücken durch. Sie hatte nicht erwartet, ausgerechnet jetzt schon zur Kaiserin zu werden. Aber sie würde ihre Pflicht tun.
Sie wandte sich von dem Balkon ab und ging zurück in das Audienzgemach, um sich der Menge zu stellen, die sie erwartete. Genau wie die anderen Angehörigen des Blutes trug auch sie Asche auf den Wangen, um den Verlust der Kaiserin zu betrauern. Sie hatte wenig Zuneigung für ihre Mutter verspürt, aber eine Kaiserin brauchte auch keine Zuneigung. Sie sorgte für Ordnung und Stabilität. Tuon hatte gerade erst damit begonnen, die Bedeutung dieser Dinge zu verstehen, als sich diese Last auf ihre Schultern senkte.
Das Gemach war breit und rechteckig; Kandelaber zwischen den Säulen und das durch den breiten Balkon hinter ihr einfallende, strahlende Sonnenlicht sorgten für Helligkeit. Tuon hatte befohlen, dass man die Teppiche entfernte, denn sie zog die hellen weißen Fliesen vor. Die Decke zeigte ein großes Wandgemälde mit Fischern auf dem Meer, mit in der klaren Luft fliegenden Möwen, und die Wände waren hellblau gestrichen. Vor den Kandelabern zu Tuons Rechten kniete eine Gruppe aus zehn Da’covale . Sie trugen durchsichtige Gewänder und warteten auf einen Befehl. Suroth war nicht unter ihnen. Um sie kümmerte sich die Totenwache, zumindest bis ihr Haar nachgewachsen war.
Sobald Tuon den Raum betrat, gingen alle Bürgerlichen auf die Knie und berührten mit der Stirn den Boden. Die Angehörigen des Blutes knieten und neigten den Kopf.
Auf der anderen Seite des Raumes, gegenüber den Da’covale, knieten Lanelle und Melitene in Kleidern,
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