Das Rad der Zeit 5. Das Original: Die Feuer des Himmels (German Edition)
Handflächen auf und ab tanzen. »Manchmal vergesse ich, dass Ihr außerhalb unseres Bluts erzogen wurdet, Rand al’Thor. Hört mich an. Ich bin, was ich bin. Das ist es, was ich bin.« Sie hob den Speer.
»Sulin …«
»Hört mir zu, Rand al’Thor. Ich bin der Speer. Als ein Liebhaber zwischen mich und den Speer trat, habe ich den Speer gewählt. Manche wählen den Mann. Andere entscheiden, dass sie lange genug mit den Speeren gerannt sind und nun einen Mann und ein Kind haben wollen. Ich selbst wollte nie etwas anderes. Jeder Häuptling würde mich, ohne zu zögern, dorthin schicken, wo der Tanz am heißesten ist. Sollte ich dort sterben, würden meine Erstschwestern um mich trauern, aber keinen Deut mehr als zu der Zeit, da mein Erstbruder fiel. Ein Baummörder, der mir im Schlaf seinen Dolch ins Herz stößt, würde mir damit mehr Ehre zuteil werden lassen als Ihr. Versteht Ihr mich jetzt?«
»Ich verstehe, aber …« Er verstand sie wirklich. Sie wollte nicht, dass er etwas anderes aus ihr machte, als sie eben war. Alles, was man von ihm erwartete, war die Bereitschaft, sie sterben zu sehen. »Was geschieht, wenn Ihr den letzten Speer brecht?«
»Dann besitze ich in diesem Leben keine Ehre mehr. Vielleicht in einem anderen.« Sie sagte das so, als sei es lediglich eine nüchterne Erklärung. Er brauchte einen Augenblick, um ihre Worte richtig zu begreifen. Man forderte von ihm nur die Bereitschaft, sie sterben zu sehen.
»Ihr lasst mir wohl keine andere Wahl, oder?« Moiraine hatte auch keine andere gehabt.
»Man hat immer die Wahl, Rand al’Thor. Ihr habt die Wahl, wie Ihr euch entscheiden wollt, und ich habe eine. Ji’e’toh lässt uns keine weiteren.«
Er hätte sie am liebsten angefaucht wie ein Tier und Ji’e’toh und alle, die dieser Lehre folgten, verflucht. »So wählt denn Eure Töchter aus, Sulin. Ich weiß nicht, wie viele ich mitnehmen kann, aber es werden genauso viele Far Dareis Mai sein, wie aus den anderen Kriegergemeinschaften.«
Er stolzierte an ihr und ihrem plötzlichen Lächeln vorbei. Keine Erleichterung. Freude. Freude, weil sie eine Chance zum Sterben bekam. Er hätte sie durch Saidin gefesselt zurücklassen und sich dann mit ihr befassen sollen, wenn er aus Caemlyn zurück war. Er riss die Tür auf, schritt hinaus auf den Kai – und blieb unvermittelt stehen.
Enaila stand an der Spitze einer Reihe von Töchtern des Speers, alle mit je drei Speeren in der Hand, die sich von der Tür des Hafenmeisters den Kai entlang zog und schließlich hinter dem nächsten Tor zur Stadt verschwand. Einige der Aiel am Hafen spähten neugierig zu ihnen herüber, aber es war offensichtlich eine Sache zwischen den Far Dareis Mai und dem Car’a’carn und ging die anderen Kriegergemeinschaften nichts an. Amys und drei oder vier andere Weise Frauen, die selbst einst Töchter des Speers gewesen waren, beobachteten die Szenerie allerdings etwas genauer. Die meisten der Stadtbewohner und Schauerleute waren weg, bis auf ein paar Mann, die sich damit abplagten, umgestürzte Getreidekarren wieder aufzurichten. Sie bemühten sich betont, jeden Blick zu den Töchtern hin zu meiden. Enaila trat auf Rand zu, blieb dann aber stehen und lächelte, als sie Sulin herauskommen sah. Keine Erleichterung in diesem Lächeln. Freude. Ein Lächeln purer Freude wanderte die lange Reihe der Töchter entlang. Auch die Weisen Frauen lächelten, und Amys nickte ihm kurz anerkennend zu, als habe er sein idiotisches Verhalten eingesehen und geändert.
»Ich glaubte schon, sie müssten vielleicht eine nach der anderen hineingehen, um dich aus deiner trüben Stimmung herauszuküssen«, sagte Mat.
Rand blickte ihn düster an, wie er dastand, auf seinen Speer gestützt, grinsend, den breitkrempigen Hut weit nach hinten geschoben. »Wie kannst du nur so guter Dinge sein?« Der Gestank nach verbranntem Fleisch hing noch immer in der Luft, und das Stöhnen der Männer und Frauen, die Verbrennungen erlitten hatten und nun von den Weisen Frauen versorgt wurden, hatte nicht nachgelassen.
»Weil ich noch lebe«, knurrte Mat. »Was willst du von mir? Soll ich heulen?« Er zuckte unangenehm berührt die Achseln. »Amys sagt, Egwene wird in ein paar Tagen wieder in Ordnung sein.« Dann sah er sich um, aber so, als wolle er eigentlich nicht sehen, was vor seinen Augen lag. »Verbrennt mich, wenn wir diese Sache erledigen wollen, dann lass uns aufbrechen. Dovie’andi se tovya sagain. «
»Was?«
»Ich sagte, es sei Zeit, die
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