Das Rad der Zeit 6. Das Original: Herr des Chaos (German Edition)
waren sie mit all diesen edel bestickten Umhängen und üppigen Seidengewändern Adlige –, aber es war nichts zu erkennen. So war es die meiste Zeit bei den meisten Menschen, und wenn sie etwas erkannte, hatte sie nur allzu häufig keine Ahnung, was es bedeutete. Dennoch verengte sie ihre Augen und strengte sich an. Wenn sie nur ein Bild erkennen würde, eine Aura, könnte es ihm vielleicht helfen. Den Geschichten nach, die sie gehört hatte, seit sie Andor betreten hatte, konnte er alle Hilfe gebrauchen, die er finden konnte.
Schließlich gab sie es mit einem tiefen Seufzen auf. Zu blinzeln und sich anzustrengen, nützte nichts, es sei denn, es gab von vornherein etwas zu sehen.
Plötzlich bemerkte sie, dass sich die Adligen zurückzogen. Rand war aufgestanden, und Enaila winkte ihr zu und bedeutete ihr einzutreten. Rand lächelte. Min dachte, das Herz würde ihr aus der Brust springen. So fühlte es sich also für all jene Frauen an, über die sie gelacht hatte, die sich zu Füßen eines Mannes warfen. Nein. Sie war kein närrisches Mädchen. Sie war älter als er. Sie hatte ihren ersten Kuss schon bekommen, als er noch glaubte, dass das größte Vergnügen auf der Welt darin bestand, aus der Aufgabe des Schafehütens auszubrechen. Sie … Licht, bitte, lass meine Knie nicht nachgeben.
Rand legte das Drachenszepter achtlos auf den Platz, auf dem er gesessen hatte, sprang mit einem Satz vom Podest und eilte die Große Halle entlang. Sobald er Min erreicht hatte, ergriff er sie unter den Armen und schwang sie im Kreis durch die Luft, bevor Dyelin und die anderen gegangen waren. Einige der Adligen starrten ihn an, aber es kümmerte ihn nicht. »Licht, Min, es tut gut, dich zu sehen«, sagte er lachend. Das war erheblich besser als Dyelins oder Elloriens versteinerte Gesichter. Aber wenn Aemlyn und Arathelle und Pelivar und Luan und alle anderen jeden Tag ihrer Freude darüber Ausdruck verliehen hätten, dass sich Elayne auf dem Weg nach Caemlyn befand, anstatt ihn zweifelnd oder mit einem Blick, mit dem man einen Lügner bedachte, anzusehen, wäre er genauso überglücklich gewesen, Min zu sehen.
Als er sie wieder auf den Boden stellte, sank sie an seine Brust, umfasste seine Arme und atmete schwer. »Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wollte nicht, dass dir schwindelig wird. Es ist nur so, dass ich wirklich froh bin, dich zu sehen.«
»Nun, mir ist schwindelig, du wollköpfiger Schafhirte«, murmelte sie an seiner Brust. Dann trat sie zurück und sah ihn unter langen Wimpern hervor an. »Ich habe einen sehr langen Ritt hinter mir. Ich bin mitten in der Nacht angekommen, und du wirbelst mich herum wie einen Sack Hafer. Hast du niemals Manieren gelernt?«
»Wollkopf«, sagte er leise lachend. »Min, du kannst mich einen Lügner nennen, aber ich habe es tatsächlich vermisst, nicht mehr diese Bezeichnung zu hören.« Sie bezeichnete ihn jetzt als gar nichts mehr. Sie sah ihn nur an, und das Funkeln war vollkommen vergangen. Ihre Wimpern schienen länger, als er sie in Erinnerung hatte.
Als ihm bewusst wurde, wo sie sich befanden, nahm er ihre Hand. Ein Thronraum war kein geeigneter Ort, um alten Freunden zu begegnen. »Komm mit, Min. Wir können in meinem Wohnraum einen Becher gewürzten Wein nehmen. Somara, ich gehe in meine Räume. Ihr könnt alle fortschicken.«
Somara schien nicht glücklich darüber, aber sie entließ alle Töchter des Speers bis auf Enaila. Somara und Enaila wirkten ein wenig verdrießlich, was er nicht verstand. Er hatte Somara zunächst erlaubt, so viele Töchter des Speers im Palast zu versammeln, weil Cyelin und die anderen kamen. Bashere befand sich aus demselben Grund in seinem Reiterlager nördlich der Stadt. Die Töchter des Speers als Erinnerung, Bashere, weil es zu viele Erinnerungen geben konnte. Er hoffte, dass die beiden Töchter des Speers nicht vorhatten, ihn zu bemuttern. Sie wechselten sich im Übermaß als seine Wächter ab, wie ihm schien, aber Nandera war genauso unnachgiebig, wie Sulin es gewesen war, als er bestimmt hatte, wer im Einzelnen was tun sollte. Er konnte Far Dareis Mai befehligen, aber er war keine Tochter des Speers, sodass ihn das andere nichts anging.
Min betrachtete die Wandteppiche, während er sie an der Hand den Gang entlangführte. Sie bemerkte kostbare Truhen und Tische, goldene Schalen und in Nischen hohe Vasen aus Meervolk-Porzellan. Sie begutachtete Enaila und Somara drei Mal von Kopf bis Fuß. Aber sie sah Rand weder an, noch richtete sie
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