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Das Rätsel der dritten Meile

Das Rätsel der dritten Meile

Titel: Das Rätsel der dritten Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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sich, den Kittel schon halb geöffnet, über ihn und fragte: «Möchten Sie, daß ich mich ausziehe, bevor ich Sie weiter massiere?»
    Was für ein himmlisches Angebot! Kaum ein Mann schaffte es denn auch abzulehnen, obwohl der horrende Preis, den man für diesen Extraservice verlangte, im voraus annonciert wurde.
    So war es fast ein Schock für sie, als der doch bisher anscheinend so gefügige Kunde, kaum, daß sie wie üblich ihre Frage gestellt hatte, plötzlich seine Beine von der Couch schwang, mit beiden Händen nach ihrem Kittel langte, um ihn zuzuknöpfen, sich dann selbst den Bademantel fest über der Brust zusammenzog und ein klares und entschiedenes «Nein» von sich gab.
    Aber die größte Überraschung kam erst noch.
    Sie hatte seine Ablehnung kaum verdaut, da fuhr er bereits fort: «Ich glaube, wir kennen uns; auf jeden Fall kenne ich Ihren Vater. Können wir hier reden, ohne daß wir belauscht werden?»
    Ihr Vater... Sie konnte sich noch gut an ihn erinnern, vor allem an die nicht enden wollenden nächtlichen Streitereien zwischen ihm und ihrer Mutter, wenn er spät abends wieder einmal betrunken nach Hause gekommen war. Sie hatte dann zitternd hinter der Tür ihres Zimmers gestanden und angstvoll zugehört, wie sich die beiden gegenseitig beschimpft hatten. Was sie wohl am meisten verstört hatte, war, daß am nächsten Morgen alles vergessen zu sein schien. Alles lief seinen gewohnten Gang, so als habe es die häßlichen Szenen der Nacht nie gegeben. 1939 war er einberufen worden; sie war gerade erst acht gewesen. Drei Jahre später hatten sie die Nachricht erhalten, daß er gefallen war. Sie hatte es kaum begriffen, es war ja auch nicht wichtig gewesen, denn es bedeutete im Grunde nur, daß seine Abwesenheit, an die sie sich längst gewöhnt hatte, sich nun in eine unbestimmte Zukunft hinein verlängerte. Ihre Mutter dagegen hatte sein Tod tief getroffen. In den ersten Wochen und Monaten hatte sie es nicht fassen können und war immer wieder weinend zusammengebrochen, später dann war der heftige Schmerz einer stillen Wehmut gewichen, die sie bis zu ihrem Tod nicht mehr verlor. Wohl aus dem Gefühl heraus, daß ihre Mutter schon mehr als genug erdulden mußte, hatte sie sich in der Schule immer besonders angestrengt, zu Hause geholfen, wo sie nur konnte und, als sie in die Pubertät kam, jedes Anzeichen töchterlicher Rebellion, das sie an sich bemerkte, sogleich im Keim erstickt. Im Laufe der Jahre waren ihr immer mehr Pflichten zugefallen, denn ihre Mutter alterte lange vor der Zeit und starb kaum sechzig Jahre alt; die letzten zehn Jahre hatte sie gelebt wie eine Greisin.
    «Können wir hier reden, ohne daß wir belauscht werden?» wiederholte er.
    Sie sah ihn unfreundlich an. Die Art und Weise, wie er ohne eine Erklärung einfach ihren Kittel zugeknöpft hatte, war ihr gegen den Strich gegangen. Derlei Übergriffe schätzte sie bei ihren Kunden ganz und gar nicht.
    «Hier belauscht uns keiner», sagte sie schließlich kurz angebunden. «Wie denn auch», fugte sie etwas patzig hinzu.
    «Also keine versteckten Mikrofone?» fragte er nach.
    Sie schüttelte den Kopf. «Sie sagten, Sie hätten meinen Vater gekannt...»
    Er nickte. «Ja. Und Sie kenne ich auch. Aber mein Gesicht sagt Ihnen nichts, oder?»
    Sie betrachtete ihn genauer. Er mußte um die Sechzig sein, vermutlich etwas darüber, wirkte aber noch durchaus vital. Sein Haar begann sich zu lichten, die Zähne waren leicht gelblich verfärbt — er mußte ein starker Raucher sein. Seine Wangen begannen etwas schlaff zu werden, doch der Mund verriet ungebrochene Willenskraft und Energie. Sie schüttelte langsam den Kopf. Nein, sie konnte sich nicht erinnern, ihn schon einmal gesehen zu haben.
    «Ich bin vor langer Zeit einmal bei Ihnen zu Hause gewesen. Sie waren damals fünfzehn oder sechzehn, auf jeden Fall gingen Sie noch zur Schule, denn ich weiß noch, daß Ihre Mutter Sie in die Küche schickte, damit Sie dort Ihre Hausaufgaben zu Ende machten. Es muß gleich nach ‘45 gewesen sein; Ihr Vater und ich, wir sind zusammen im Krieg gewesen. Ich war dabei, als er starb. Tja...»
    «Aber um mir das zu erzählen, sind Sie doch nicht hier, oder?» stellte sie nüchtern fest.
    «Nein. Ich möchte, daß Sie etwas für mich tun. Ich werde Sie dafür bezahlen — gut bezahlen.»
    «Und was soll das sein?»
    Er hob abwehrend die Hände. «Nicht jetzt und hier! Sie wohnen in der Colebourne Road Nr. 23 a. Das stimmt doch?»
    Sie nickte, schon fast

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