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Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Das Rätsel der Rückkehr - Roman

Titel: Das Rätsel der Rückkehr - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlag Das Wunderhorn <Heidelberg>
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nur an Politik oder besser gesagt, an die Verbreitung seiner Ideen. Wenn für ihn jede Frau eine künftige Kämpferin für seine Partei darstellte, schienen die Frauen dagegen von der starken Energie gefangen, die von ihm ausging. Es war das Leuchtende an ihm, das auf uns anziehend wirkte. Ich habe einiges gesehen, aber ich nehme an, das sind nicht die Dinge, über die du mit mir reden möchtest … Ich erwarte nichts. Ich kann jemandem, der meinen Vater mit Zwanzig kannte, nur zuhören. Es fing alles damit an, dass dein Vater den General Magloire hasste, der sich im Widerspruch zur Verfassung an die Macht klammerte. Wir verbrachten unsere Zeit im Gefängnis oder bei den Partisanen. Und danach? Es war, wie bei unserer ganzen Generation, eine schreckliche Bilanz: Jacques ist tot, dein Vater ging ins Exil und François hat sich aufs Land verkrochen. Ich war der einzige, der blieb, und rat mal, was man in Port-au-Prince macht? Geld. Nein, erwidert er lachend, nicht so schnell. Zuerst macht man Politik. Die Revolution? Revolution macht man mit Zwanzig. Schweigen. Ich war fünfzehn Jahre Handelsminister, das ist ein guter Posten, um Geld zu verdienen. Die meisten Geschäftsleute im Stadtzentrum sind in Wirklichkeit Schmuggler, sie machen dem Minister unentwegt Geschenke, damit er vor ihren illegalen Geschäften die Augen schließt. Ich schloss ein Auge, doch das andere hielt ich offen. Denn die selben Geschäftsleute schrecken nicht davor zurück, dich zu denunzieren, sobald die Dinge nicht mehr so gut laufen.
    Später führte er mich in sein Büro zu einem Gespräch unter vier Augen. Seit den letzten Aufständen nehmen wir uns in Acht vor den Dienstboten. Im Gegensatz zum übrigen Haus ist das Büro ein recht nüchterner Raum. Hier heckt er seine üblen Dinger aus. Er rückt seinen Sessel an meinen heran, bis unsere Knie sich berühren. Er gießt sich ein Glas randvoll mit Rum und füllt auch meines bis zum Rand. Ich muss dir ein paar Dinge erklären, die du offenbar nicht verstehst, das ist normal, nach einer Abwesenheit von über dreißig Jahren. Für dich sind wir jetzt unter einem anderen Regime, denn die du kanntest, sind nicht mehr vor Ort. Und ihre Kinder im Ausland. Aber an ihre Stelle sind ihre früheren Gegner getreten, die sind bedeutend schlimmer. Sie sind frustriert, ausgehungert und haben Panik, sie könnten nicht mehr alles zusammenraffen, bevor sie sterben. Tatsächlich sind sie nur Marionetten von anderen Leuten, die im Dunkeln bleiben. Die wahren Herren dieses Landes bekommt man nie zu Gesicht. Für sie ist das eine Geschichte ohne Bruch und aus einem Guss. Sie überwachen seit dem Ende der Kolonialzeit alles bis ins Kleinste. Immer das gleiche: eine Gruppe ersetzt die andere und so weiter. Wenn du glaubst, es gäbe eine Vergangenheit, eine Gegenwart und eine Zukunft, dann ist das Brett vor deinem Kopf sehr dick. Das Geld existiert, nicht die Zeit. Er nimmt einen langen Schluck von seinem Rum. Mustert mich eine Weile aus seinen blutunterlaufenen Augen. Ich werde eines für dich tun, weil Wilson mein bester Freund war, ich überlasse dir mein Auto mit meinem Chauffeur, so kannst du dich völlig sicher durch das Land bewegen, das du eine ganze Zeitlang nicht gesehen hast. Ich falle um vor Müdigkeit. Wenn du erlaubst, will ich mich jetzt den Ungeheuern meiner Kindheit stellen.

Menschen, die sich für Götter halten
    Ich habe beschlossen,
    meinen Neffen mitzunehmen,
    der sich langweilt in einem Haus
    voller alter nervöser Tanten mit ihren
    von besoffenen Priestern geweihten Rosenkränzen.
    Mir begegnen viele schwangere Frauen.
    Die Neugeborenen, ein endloser Strom,
    drängen hinterhältig die Alten
    hinunter zum Gottesacker.
    Ab Fünfzig brauchst du ständig
    eine schwarze Jacke
    für das Begräbnis eines Jugendfreundes.
    Die Schranke steht offen vor dem Zentrum für Kunst,
    das ich mit Siebzehn häufig besuchte.
    Viel mehr um der Maler
    als um des Malens willen.
    Ich traf heute Morgen nur Mademoiselle Murat,
    seit jeher die Direktorin.
    Sie empfing mich mit einem spöttischen Blick,
    gemildert von ihrem entwaffnenden Lächeln.
    Durch ihr Leben zwischen Gemälden
    wurde sie zur Romanfigur.
    Ich spaziere durch die leeren dunklen Räume
    des Kunstzentrums, mit dem Gefühl, dass die Mieter
    eben ausgezogen sind, die vielen Bilder
    aber nicht mitzunehmen wagten,
    da sie sich nur mit Leben füllen
    in diesem Holzbau mit den knarrenden Dielen.
    Hier trank ich einmal Kaffee,
    den uns Mademoiselle Murat

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