Das Rätsel der Templer - Roman
des Papstes zu besteigen, hätte das persönliche Risiko, das er dabei eingegangen wäre, in keinem Verhältnis zu dem
zweifelhaften Vergnügen gestanden. Wenn man sie entdeckt oder das dumme Weib gar behauptet hätte, er habe sie mit Gewalt genommen,
wäre er unweigerlich in den Kerker gewandert, entehrt und vom Tode bedroht. Zudem hatte sie etwas verlauten lassen, das ihm
in der darauf folgenden Nacht weit mehr den Schlaf raubte, als ihre betörende Gestalt es je vermocht hätte.
Sie hatte das ausgesprochen, was alle Brüder im Orden beunruhigte. Schon seit Monaten kursierten Gerüchte, der Papst habe
Informationen erhalten, dass es im Orden an Moral und Sitte fehlen würde. Unter der Hand hieß es, der Großmeister sei eben
zu jenem Thema nach Poitiers einbestellt worden. Dieses Weib gehörte zu den engsten Vertrauten des Heiligen Vaters, und dass
sie etwas mehr über den Grund der Zusammenkunft der obersten Würdenträger des Landes wusste, hatte sie Gero durch ihre unbedachten
Worte verraten.
Am Tag darauf wurde er ohne Kommentar seines Obersten gegen einen jungen, italienischen Bruder ausgetauscht, auf dass Brunissende
ein neues und diesmal unerfahrenes Opfer mit ihrem schändlichen Spiel locken konnte.
Der ewig kränkelnde Papst, dem Gero für den Rest der Reise wieder unmittelbar zur Seite stand, schien von all dem nichts mitzubekommen.
Er benahm sich wie ein ungeduldiges Kind, wenn seine Anweisungen und Wünsche nicht augenblicklich befolgt wurden.
Nachdenklich beobachtete Gero das Treiben auf dem Innenhof der Komturei von Beaulieu. Damals, auf dem Weg nach Poitiers, hatte
ihn bereits eine Ahnung beschlichen, dass auf einen solchen Papst kein Verlass sein konnte. Clemens V., dessen Name soviel
bedeutete wie »der Milde« oder »der Gnädige«, und der für sich selbst beanspruchte, Vertreter des Allmächtigen zu sein, riskierte
ohne mit der Wimper zu zucken das Leben all dieser tapferen und unbescholtenen Ordensmänner. Dabei war er kein Heiliger, sondern
ein habgieriger Feigling, der für den Erhalt seines armseligen Luxuslebens selbst seine treuesten Gefolgsleute an den König
verriet.
|64| »Bruder …?« Gero bedachte Theobald mit einem scheuen, fragenden Blick.
»Ja?«
»Nichts. Vergesst es!« Er war zu der Überzeugung gelangt, dass es töricht war, die Frage zu stellen, wie Theobald die Situation
des Ordens und das mögliche Vorgehen Philipps IV. beurteilte.
Theobald sah ihm fest in die Augen und drückte kurz Geros Unterarm. Dann lächelte er ihn tapfer an.
»Ich habe genauso viel Angst wie Ihr«, sagte er leise. »Es geht jedem so, der den näheren Hintergrund unserer Mission kennt.
Und die anderen Brüder, die es noch nicht wissen, ahnen bereits etwas. Es ist eine Katastrophe unglaublichen Ausmaßes. Nicht
nur, weil der Fortbestand des Ordens in Frage gestellt ist, sondern weil die ganze Angelegenheit unseren Korpsgeist bis ins
Mark erschüttert. Schon seit über einem Jahr sind wir in mehrere Lager gespalten. Die, die etwas wissen und nichts dagegen
unternehmen, obwohl sie es könnten. Die, die etwas wissen und nichts dagegen unternehmen dürfen. Und die Ahnungslosen, die
glauben etwas zu wissen, denen es aber weder erlaubt ist, dieses Wissen auszusprechen, noch zu fragen, ob sie mit ihrer Annahme
richtig liegen. Konsequentes Totschweigen lautet die Parole, und das in einem Orden, der sich immer damit gebrüstet hat, dass
er sich nicht nur für Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit eingesetzt hat, sondern auch immer bereit war, diese Attribute mit
seinem eigenen Blut zu verteidigen.« Theobald schüttelte den Kopf. Seinen Mund umspielte ein schmerzliches Lächeln. »Glaubt
mir, Bruder, Ihr seid nicht der einzige, dessen Herz sich anfühlt, als sei es von einer eisernen Faust umklammert.«
Theobald fuhr herum, als wenn nichts gewesen wäre, und die alte Souveränität beherrschte sein Mienenspiel. »Aufstellung nehmen!«,
brüllte er über den Hof. Innerhalb kürzester Zeit bewegten sich, von Reitern begleitet, die ersten Wagen aus der Hofeinfahrt
heraus.
Auf einem Hügel, eingerahmt von mannshohen Ginsterbüschen, die einen vorteilhaften Sichtschutz boten, gab Bruder Theobald
das Zeichen zum Halt.
Von hier ab würden nur jeweils zwei Ritter je Komturei und zu Pferd den weiteren Zug in das sumpfige Waldgebiet begleiten,
in dem es keine befestigten Pfade gab.
|65| Unter der Mithilfe aller Beteiligten wurden Kisten und Säcke in
Weitere Kostenlose Bücher