Das Rätsel Sigma
Datenbank. Auf dem Schirm erschien das freundliche, schöne Gesicht von Schirin Trappe. Es leuchtete auf, als sie Wiebke erblickte.
„Ist Leif da?“ fragte Wiebke.
„Nein, aber er muß gleich wiederkommen, er läßt mich nie lange allein. Wie geht es Ihnen? Sind Sie weitergekommen?“
„Ja“, sagte Wiebke unschlüssig, „es scheint, daß wir das Sigmaphagin jetzt haben.“
„Wunderbar, herzlichen Glückwunsch!“ rief Schirin vor Freude. „Das ist doch ein Riesenschritt vorwärts!“
„Ja, und der Beweis, daß ich… mit meinem Experiment vor einer Woche…“
„Ach so“, sagte Schirin kleinlaut. Doch dann belebte sich ihr Gesicht wieder. „So dürfen Sie das auf keinen Fall sehen! Ich möchte am liebsten…“ Sie verstummte und blickte Wiebke schräg und etwas zaghaft an.
„Ja, was bitte?“ fragte Wiebke.
„Wollen wir nicht du sagen?“ platzte Schirin heraus. Wiebke atmete tief. „Ja, gern“, sagte sie und lächelte. Schirin strahlte über das ganze Gesicht. „Und was kann ich dir sonst noch anbieten?“ fragte sie.
Wiebke überlegte. Eigentlich hatte sie nur mit Leif sprechen wollen, weil sie das Gefühl gehabt hatte, mit jemandem sprechen zu müssen, der ihr nahestand, – nur nicht mit Herbert, merkwürdigerweise. Sie war wohl doch etwas durcheinander. Aber Schirin hatte dieses Bedürfnis fast gestillt, und darum sagte Wiebke jetzt: „Weißt du, ich möchte – nein, andersherum. Ich hänge doch jetzt in dieser Geschichte mit drin, aber ich weiß fast nichts. Kannst du mir nicht die wichtigsten Informationen zusammenstellen?“
„Haben wir immer griffbereit“, antwortete Schirin vergnügt.
„Schaltest du bitte dein Aufzeichnungsgerät ein? Hast du doch, oder?“
„Ja, sogar mit Blitzschaltung.“ Sie drückte eine Taste.
„Blitzschaltung, Moment, das ist hier!“ rief Schirin. Ihr Gesicht verschwand, der Bildschirm schien zu flackern, dann tauchte es wieder auf. „Erledigt“, sagte sie. „Nun kannst du's in aller Ruhe studieren.“
„In aller Ruhe! Du hast Nerven! Deine Ruhe möchte ich mal sehen, wenn du in meiner Lage…“
Wiebke brach ab, weil Schirin sie plötzlich seltsam anstarrte. „Was ist denn, was hab ich denn…“, rief sie, doch dann begriff sie – Schirin bekam einen Anfall. Entsetzt und hilflos sah sie zu, wie das Mädchen vor ihrem Bild zurückwich, in die äußerste Ecke des Raumes, kaum noch zu erkennen auf dem Bildschirm, aber immer den Blick starr auf sie gerichtet, und sie saß hier, viele Kilometer entfernt, und konnte nicht helfen. Jetzt schien es ihr, als ob Schirin zu zittern begann, aber das war dem Bildschirm nicht genau zu entnehmen. Wo blieb nur Leif? Leif mußte her – mit bebenden Händen griff sie zum Telefon, ließ eine Blitzverbindung zum Kernkraftwerk herstellen, sagte der Zentrale: „Rufen Sie über Ihre Alarmanlage Leif Amwald, hören Sie? Leif Amwald! Kollegin Trappe hat einen Anfall!“
Sie war nicht in der Lage, das Video abzuschalten, sie hörte, wie Leif ausgerufen wurde, kurze Zeit später stürmte er herein – da erst unterbrach sie die Verbindung.
Erst kurz nach fünf klopfte jemand an der Tür. Fast gleichzeitig drang von draußen, vom Werkhof, ein tiefes Brummen herein.
Professor Novak trat ein. „Ach, hier haben Sie sich versteckt? Da, hören Sie, der erste Hubschrauber startet mit zehntausend Einheiten Sigmaphagin! – Was ist denn mit Ihnen?“
Wiebke saß am Fenster, den Rücken zur Tür gewandt. Ihre Schultern bebten.
Leif legte sich die Elektroden des Manipulators an die Handgelenke. Er war noch nicht ganz bei der Sache. Schirins Anfall war diesmal weitaus schwerer gewesen. Dr. Baatz hatte darauf bestanden, daß sie nun doch in das Kreiskrankenhaus geholt wurde. Sicherlich war es auch besser so. Fast eine Stunde hatte es gedauert, bis sich ihr Zustand normalisiert hatte. Jetzt schlief sie. Bei allem immer noch ein Glück, daß sie nicht Tobsuchtanfälle bekam wie einige andere Patienten. Aber wer mochte da angerufen haben? Als er Schirin versorgt hatte und die Ärztin anrufen wollte, hatte er gesehen, daß der Videoschirm leerlief. Von der Zentrale war später auch nur zu erfahren, daß jemand angerufen hatte, aber nicht, wer. Mit wem mochte Schirin gesprochen haben? Und warum hatte der Betreffende sich noch nicht nach ihrem Befinden erkundigt? Nun, das war wohl im Moment gleichgültig, er mußte sich jetzt konzentrieren. Die Arbeit war ihm freilich vertraut, es waren seine Elektrodenmanschetten, die
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