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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Produktionsbakterien zu schützen, die für den Menschen völlig ungefährlich, aber selbst leider sehr empfindlich waren.
    Die Schwemme, wie der Produktionsraum genannt wurde, ähnelte sehr einem Treibhaus: ein endlos langer Gang, darüber ein Glasdach, Wärme, die durch den Schutzanzug hindurch zu spüren war, triefende Feuchtigkeit. Sechs von diesen Schwemmen machten die gesamte Produktionsanlage aus.
    Rechts und links vom Mittelgang hing eine unübersehbare Zahl von grauen Foliebahnen – wie riesige Filme in einem überdimensionalen Fotolabor. Sie schienen unbeweglich, nur am Anfang des Ganges war zu erkennen, daß die ganze Anordnung nicht stillstand, sondern langsam nach hinten weiterrückte. Zwei Klemmen ergriffen ein Stück Folie, das aus einem Schlitz an der Wand herausragte, und fingen an, es im Weiterrücken allmählich herauszuziehen.
    Anfangs sahen die Folien rechts und links noch einheitlich grau aus. Zehn Schritt weiter zeigten sie schon Flecken eines grünlich-weißen Belags, und nochmals zehn Schritt weiter waren sie fast vollständig davon bedeckt, von den unteren Rändern tropfte eine trübe, dicke Flüssigkeit auf den Fliesenboden, sammelte sich in einer Rinne und trieb, von Schaumflocken bedeckt, träge dem anderen Ende des Raumes zu. Am Ende des Ganges waren die Klemmen leer: Die Bakterien hatten ihre Arbeit getan, sie hatten den größten Teil der Bindungen aufgetrennt, mit denen die monomeren Moleküle verkettet waren.
    Wiebke nahm eine der Plastbahnen am Anfang aus den Klemmen und hängte statt dessen die mitgebrachte Folie ein. Nun hieß es warten. Aber als eine halbe Stunde später der Direktor in die Schwemme kam, war das Ergebnis schon sichtbar: Die neuentdeckte Plastmodifikation wurde fast doppelt so schnell abgebaut.

    „Eins rauf – mit Mappe!“ sagte der Direktor. Er war schon alt und benutzte gern solche Redensarten, die heute kein Mensch mehr verstand. Es machte ihm Spaß, den Sinn zu erklären: „Früher, ganz früher, saßen die Schüler der Leistung nach geordnet, die schlechten hinten, die guten vorn, und wenn einer sich verbessert hatte, durfte er seinen Platz wechseln.“ Dann kam er wieder zur Sache: „Wenn wir das hier“ – er deutete auf die neuartige Folie – „noch innerhalb der nächsten zehn Tage unter Dach und Fach kriegen, geht es in den Jahresbericht an die RGW-Kommission ein, und was das bedeutet, brauche ich wohl nicht zu sagen!“
    Wiebke nutzte die Gelegenheit. „Dann bestehen wohl auch keine Einwände mehr, daß wir den Versuch von Donnerstag heute nachmittag wiederholen?“ fragte sie. „K. O. kann alles schon vorbereiten.“
    „Reine Erpressung!“ sagte der Direktor. Aber er nickte.
     
    Herbert Lehmann hatte sich das Kernkraftwerk viel imposanter vorgestellt. Jetzt, bei Tageslicht, aus dem Blickwinkel des Besuchers, konnte diese Gebäudegruppe ebensogut ein Erholungszentrum oder eine Konservenfabrik sein. Nein, eine Konservenfabrik wohl nicht, die hätte kaum das Bohrsche Atommodell als Plastik vor den Haupteingang gestellt. Und ein Erholungszentrum wiederum hätte nicht einen so zugeknöpften Eindruck gemacht: Der Zaun sah zwar nicht ausgesprochen feindselig aus, war aber doch unmißverständlich hoch, und der weiße Overall des Mannes, der auf Herberts Läuten hin öffnete, wirkte zwar sehr reinlich, aber doch nicht so fröhlich einladend wie die Jacketts der Kellner eines Ausflugslokals.
    „Ich möchte zum Direktor“, sagte Herbert und zeigte seinen Ausweis.
    „Einen Augenblick bitte, nehmen Sie inzwischen hier Platz!“ antwortete der Pförtner mit einer korrekten Höflichkeit, wie sie nur ganz wichtige Pförtner in ganz wichtigen Ämtern an sich haben, und griff zum Telefon. „Es kommt gleich jemand!“ meldete er dann.
    Herbert schickte sich drein und griff zu einigen Prospekten, die auf dem Tischchen lagen. Unlustig überflog er die Informationen über das Kernkraftwerk. Schneller Brutreaktor, Hybridtechnologie der Stromerzeugung in Thermionik-Wandlern, MHD-Generatoren und Dampfturbinen, kernchemische Produktionen, Festkörperbearbeitung, Forschungsinstitute und Arbeitsgruppen in Genetik, Mikrobiologie, Botanik…
    Jemand tippte ihm auf die Schulter.
    Herbert blickte auf und sah in das grinsende Jungengesicht seines Schwagers Leif.
    „Verehrter Magister Faust“, sagte der Physiker, „dein Famulus Wagner meldet sich zum Dienst!“
    „Wie meinst du denn das wieder?“ fragte Herbert und schüttelte ihm die Hand.
    „Ich bin dazu

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