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Das Rätsel Sigma

Das Rätsel Sigma

Titel: Das Rätsel Sigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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Forschungskombinat hätte wirklich einen riesigen Gebäudekomplex gebraucht, und die FBV als Teilbetrieb wäre lebensunfähig gewesen, wenn man sie räumlich getrennt davon eingerichtet hätte.
    Heute war das einfacher und billiger. Man suchte sich ein altes, leerstehendes Gemäuer – gerade in den früher vorwiegend landwirtschaftlichen Gegenden gab es nach der Industrialisierung genug davon. Mit Glasfaserleitungen wurde ein Anschluß an das öffentliche Video-Netz hergestellt, und schon konnte jeder mit jedem nach Herzenslust konferieren, auch wenn die Teilbetriebe des Kombinats Hunderte von Kilometern auseinanderlagen. Investitionen waren nur für die bauliche Anpassung und Innenausstattung notwendig.
    Etwas außerhalb der Bezirkshauptstadt, in den uralten Mauern einer kleinen Fabrik, die sicherlich schon die verschiedensten Betriebe beherbergt hatte, verrichteten die Bakterien ihre Arbeit. Ein bis zwei Kesselwagen wöchentlich war der Produktionsausstoß, lächerlich wenig schien das zu sein, und doch reichte diese Menge schon aus, um die Kosten zu decken. Rentabilität ist aber etwas mehr als Kostendeckung. Für die drei Dutzend Ingenieure, Techniker und Forschungsfacharbeiter stellte diese noch fehlende Spanne das Hauptproblem, den wichtigsten Gegenstand ihrer Arbeit und Sorgen dar.
    Wiebke Lehmann hatte hier als Verfahrensingenieur begonnen. Für sie war es eine Arbeit nach ihrem Herzen. Unkonventionell, im Schnittpunkt mehrerer Wissenschaften gelegen, bot sie für eine Verfahrensingenieurin Möglichkeiten, selbständig zu arbeiten und sich auszuzeichnen. Für den Direktor Dr. Roland Uhl stellte die junge Mitarbeiterin auch noch in anderer Hinsicht einen Gewinn dar, war sie doch eine geborene Amwald. Der Großvater dieser Familie hatte zu den ersten gehört, die in romantischen Zeiten an den Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten mit hungerndem Magen harte Brocken Wissenschaft heruntergewürgt hatten. Er hatte nicht nur Bedeutendes geleistet in der Wissenschaft, sondern auch ein Geschlecht von Gelehrten in die Welt gesetzt, die heute an fast allen Universitäten und Forschungsstätten der Republik arbeiteten, na, und solche Verbindungen… Gewiß, Verbindungen sind nicht das wichtigste, aber wer wollte behaupten, daß sie nicht von Zeit zu Zeit nützlich sein konnten?
    So hatte Wiebke alle Bewegungsfreiheit gefunden, die ein junger Wissenschaftler sich wünschen konnte, und sie hätte mit keinem Assistenten eines noch so berühmten Professors in einem noch so großartigen und modernen Institut getauscht. Aber sie hatte noch viel mehr gefunden: den Mann mit den goldenen Händen, ohne den jeder Forscher verloren ist, besonders, wenn ihm noch Erfahrung und Materialgefühl fehlen; den kühnen Bastler unvorstellbarer Versuchsanordnungen – den Forschungsfacharbeiter Konrad Ohnverricht. Gemeinsam hatten sie den Mikroorganismen, die vom VEB Biotechnik geliefert wurden, alles abgerungen, was sie gegenwärtig schon leisteten. Nur leider – es genügte noch nicht. Sie waren noch immer auf der Suche nach einer effektiveren Technologie, gewissermaßen nach der geeignetsten Zubereitungsart, in der den Bakterien die Speise serviert werden konnte.
    „Guck dir das an!“ sagte Wiebke. Sie hielt ihrem Mitarbeiter eine Glasschale mit einer trüben Flüssigkeit, auf der ein paar Schaumflocken schwammen, vor die Nase.
    „Sieht gut aus“, sagte K. O.
    „Gut?“ fragte Wiebke, „nur gut? Paß auf!“ Sie stellte die Schale in einen optischen Analysator und wies mit großer Gebärde auf die Skale des Gerätes.
    K. O. kannte sich gut genug damit aus, um zu erkennen, daß der Plaststaub vollständig verarbeitet war.
    „Und jetzt!“ rief Wiebke. Sie entleerte die Schale in eine Laborzentrifuge. Nach kurzem Lauf ließ sie den Inhalt schichtweise in verschiedene Schälchen tropfen. Die stellte sie unter ein Gerät, das einer Lampe entfernt ähnlich sah.
    Nach Einschalten des Lichts erstrahlten die Schälchen in verschiedenen Farbtönen, hellblau das eine, bernsteinfarben das andere, wasserklar das dritte.
    „Hochrein“, stellte K. O. fest. „Und wo ist die Sensation?“ Wiebke strahlte ihn an. „Ausgangsstoff waren die Explosionsrückstände vom Donnerstag. Die Einwirkungszeit beträgt fünfzig Prozent der bisherigen Bestzeit!“
    Sie standen einander schweigend gegenüber. Vielleicht hatten sie, wenn sie einmal an diesen herbeigewünschten Augenblick gedacht hatten, sich vorgestellt, sie würden einen Freudentanz aufführen –

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