Das Rätsel Sigma
ganzen Welt, und unmittelbare Gefahr für die Patienten drohte ja offenbar nicht. Aber jetzt – man mußte nicht Facharzt sein, ja man mußte überhaupt nicht Arzt sein, um zu begreifen, wie sehr die Gesundheit von Mutter und Kind vom Zustand beider abhing. Der Körper der Mutter schützt das Embryo; aber wenn dieser Körper geschwächt ist, wenn seine biologischen Mechanismen nicht normal funktionieren, dann ist das Embryo gefährdet und mit ihm wiederum die Mutter. Selbst wenn im günstigsten Falle das Embryo nicht miterkrankt war – niemand konnte sagen, wie lange allein der Stoffwechsel zwischen Mutter und Embryo aktiv genug blieb, wie lange der Dauerschlaf der Mutter anhalten durfte ohne Schaden für beide…
Wohl die meisten der Anwesenden fragten sich im stillen kritisch, ob sie bisher alles getan hatten, was im Bereich ihrer Möglichkeiten lag, um diese Krankheit in ihrem Wesen zu erkennen.
Dr. Monika Baatz spürte den Druck einer Hand auf ihrer Schulter. Sie drehte den Kopf und sah dem Chefarzt ins Gesicht. „Du mußt ein bißchen schlafen!“ flüsterte sie. „Du siehst aus wie…“ Ihr fiel kein passender Vergleich ein.
Der Chefarzt schüttelte unwillig den Kopf. „Später. Hör mal, dieser Junge vom Umweltschutz…“ Er nagte an seiner Unterlippe.
„Ja?“ fragte die Ärztin.
„Der Bursche hat Verstand und Energie. Und ist nicht so angebunden wie wir. Erklär ihm alles, ich glaube, er kann uns eine Menge nützen.“
Monika Baatz konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, aber der Ernst der Stunde wischte es schnell wieder hinweg. Sie nickte nur. Später würde sie ihm sagen, daß er mit dieser Einsicht reichlich spät kam. Aber erst, wenn er geschlafen hat, nahm sie sich vor.
Die Frauenärztin hatte die Untersuchung abgeschlossen. Die Anlage war freilich nicht für Schlafende eingerichtet, zwei Schwestern mußten die werdende Mutter herausheben und auf einen Wagen legen.
Die Gynäkologin blickte den Chefarzt an. Der nickte ihr zu. Sie sah noch einmal ein paar Blätter durch, die der Drucker des Diagnose-Computers ausgeworfen hatte, und begann: „Die Mutter ist von der Konstitution her gesund und kräftig. Das bestätigt auch der behandelnde Arzt, den wir konsultiert haben. Das Embryo ist zur Zeit offenbar nicht oder noch nicht von der Krankheit betroffen, sein Herzschlag ist normal, es sind kräftige Bewegungen festzustellen.“
Die anderen atmeten auf.
Während die Gynäkologin Einzelheiten erläuterte, spürte Monika Baatz, wie der Chefarzt wieder die Hand auf ihre Schulter legte. Sie schüttelte sie unwillig ab, dann sah sie sich schnell um. Dr. Knabus hatte die Augen geschlossen, sein Kopf fiel vornüber, er taumelte, wurde aber sofort wieder wach. Er lächelte mühsam und verlegen. „So alt bin ich doch noch gar nicht“, sagte er leise. „Geh schlafen!“ sagte Monika Baatz kühl und sehr bestimmt.
Der Chefarzt nickte langsam und wandte sich um, vornüber geneigt verließ er den Raum. Dr. Monika Baatz sah ihm besorgt nach.
Herbert war in das Kernkraftwerk zurückgekehrt, das er wegen Leif und wegen der guten Verbindungen nach überallhin und ein bißchen auch wegen der erfreulichen Arbeitsatmosphäre, die dort herrschte, schon als seinen festen Stützpunkt betrachtete.
„Na, dann schieß mal los!“ sagte er.
„Also unsere drei Kranken vom Sonntag und auch die zwei späteren haben tatsächlich keinen Kontakt miteinander gehabt“, berichtete Leif, „wenigstens nicht auf dem Werksgelände. Dafür sind wir auf eine Sache gestoßen, die wir beide übersehen haben, obwohl sie vor unserer Nase liegt.“ Er deutete auf die Wand des Zimmers.
Herbert blickte verständnislos die Wand an, die außer zwei Kupferstichen nichts bot, was das Auge festhalten konnte.
„Höher, und dann etwas links!“ gab Leif als Orientierung an.
„Die Klimaanlage!“ rief Herbert.
„Richtig. Unsere Biologen sagen, Viren können ganz extreme Milieus überstehen, also möglicherweise auch die Luftreinigung. Wenn es sich wirklich um Viren handelt.“
„An die Viren glaube ich nicht“, knurrte Herbert. „Immer, wenn die Ärzte etwas nicht wissen, schieben sie es den Viren in die Schuhe.“
„Aber ich glaube dran“, entgegnete Leif, „und wenn es sie gibt und wenn sie die Krankheit verursacht haben, dann gibt es sie ganz bestimmt – wo? Na?“
Herbert nickte. „In der Klimaanlage selbst.“
„Brav, brav!“ lobte Leif. „Unsere Biologen sind daraufgekommen. Drei Studenten. Du, da ist
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