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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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zugerichtet.«
    »Hast du ihn da auf dem
Friedhof aufgesetzt?«
    »Ja. Ich musste das tun wegen
dieses Traums.«
    Grímur klopfte Kolk auf die
Schultern. »Hör mal her, mein Lieber. Jetzt erzähl
mir das mal alles der Reihe nach.«
    Kormákur Kolk riss sich
zusammen, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Dann
begann er zu reden: »Der da, dieser Reporter, der kam am
Sonntagabend zu mir in den Kuhstall und wollte etwas Milch
bekommen. Dann hat er mir einen Schluck Rum angeboten. Und dann
haben wir uns ein bisschen
unterhalten.«     
     
    Kolk zog ein Taschentuch hervor und
schnäuzte sich. »Der Mann wollte ein paar interessante
Geschichten hören, und die habe ich ihm erzählt,
über meine alten Träume, gedeutete und ungedeutete, so
wie ich das oft tue. Zuletzt habe ich ihm den Kälbertraum
erzählt, das ist der mit den drei Adlern über der Kirche
und dem Adler, der sich mit den blutigen Flügeln auf dem
Friedhof niederlässt, und dann die drei königlichen
Gestalten, die die Kälber durch die hohle Gasse treiben.
Kannst du dich nicht erinnern?«
    Grímur nickte. Kolk hatte ihm
diesen Traum oft beschrieben.
    »Der Mann sagte, dass er den
Traum deuten könne. Wenn ein Blutadler sich auf dem Friedhof
niederlässt, hat er gesagt, dann bestünde Hoffnung, dass
Flateyjarbók aus dem dänischen Exil
zurückkommt.«
    »Was?« Grímur
konnte nicht ganz folgen.
    »Ja, die herrlichen Gestalten
sind die alten norwegischen Könige, und die Kälber stehen
für die 113 Kalbshäute der Handschrift. Und dann hat
dieser Reporter auf einmal zu mir gesagt: ›Falls du
irgendwann mal jemanden umbringen musst, oder wenn du einen Toten
findest, dann bring ihn auf den Friedhof, setze ihn da auf ein Grab
und schneide ihm den Blutadler auf den Rücken. Und pass auf,
was dann passiert.‹ Das hat er gesagt, und da wurde mir
alles klar. Natürlich bedeutete der Vogel mit den blutigen
Federn, dass einem ein Blutadler geritzt wird, wie es in
Flateyjarbók beschrieben wird. Das hatte Bryngeir erkannt,
aber ich war so blind, dass ich das nicht begriffen habe, obwohl
ich vielmals über den Blutadler gelesen habe. Das war die
genialste Traumdeutung, die ich je gehört habe. Und als wir
eine Weile miteinander geredet hatten, musste ich mit der Milch zum
Pastor, und er wollte zu Jóhanna
gehen.«
    »Ja, ich weiß.«
Grímur nickte.
    »Als ich vom Pastor kam, bin
ich zum Abendessen nach Hause gegangen und danach wieder zum
Kuhstall, um den Tieren Wasser für die Nacht zu geben. Als ich
das Wasser holte, sah ich den Mann im Stallbrunnen. Er lag
rücklings auf dem Boden des Brunnens, und nur die Beine
schauten aus dem Wasser heraus.«
    Grímur war völlig
überrascht. »Wie um alles in der Welt konnte das
passieren?«
    Kormákur Kolk schüttelte
den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber der alte Deckel war
völlig zersplittert, und die Planken schwammen um den Mann
herum.«
    Grímur schaute auf den Pfad,
der vom Stall zum Brunnen führte. Er schien in direkter Linie
zum Arzthaus am Ende der Insel zu führen. »Er hat
wahrscheinlich vorgehabt, hier vom Stall aus den kürzesten Weg
zum Arzthaus zu nehmen«, sagte Grímur, »aber der
Pfad führt nur über die Wiese zum Stall. Und dann ist er
auf die alte Abdeckung getreten und
durchgebrochen.«
    Kormákur Kolk nickte und
schüttelte abwechselnd den Kopf. »Der Mann war mausetot,
als es mir endlich gelang, ihn mit einem langen Hakenstock
hochzuhieven. Erst wollte ich dich holen, Grímur, aber dann
fiel mir auf einmal das ein, was der Mann gesagt hatte:
›Falls du irgendwann mal jemanden umbringen musst, oder wenn
du einen Toten findest, dann bring ihn auf den Friedhof, setz ihn
da auf ein Grab und schneide ihm den Blutadler auf den
Rücken.‹ Das war also sein letzter Wunsch gewesen, und
dem konnte ich mich nicht verweigern. Der Mann hatte das in
vollstem Ernst gesagt, und ich habe nicht gewagt, mich zu
widersetzen. Sonst hätte womöglich die Gefahr bestanden,
dass er hier als Wiedergänger herumgeistern würde, und
außerdem stand Flateyjarbók auf dem Spiel. Deswegen
habe ich dann mein Schlachtmesser aus dem Stall geholt und
unverzüglich den Mann mit meinem Handwagen zum Friedhof
gebracht, wie vorgeschrieben. Da habe ich ihn auf ein Grab gesetzt
und ihm den Rücken aufgeschnitten. Ich habe mit den
Händen in die offenen Wunden gegriffen und die Lungen
herausgezogen. Da kam unglaublich viel Blut heraus. Ich habe ihn
dort gelassen und bin nach Hause gegangen. Der Mann hatte
nämlich nichts

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