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Das Raetsel von Flatey

Das Raetsel von Flatey

Titel: Das Raetsel von Flatey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingólfsson
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hinzu:
»Es ist auch gar nichts Besonderes bei uns, dass Frauen ein
Boot steuern. Meine Urgroßmutter war beispielsweise
Bootsführerin in Ólafsvík, als man von dort zur
Fangsaison ausruderte. Mein Großvater soll angeblich zwischen
zwei Fangfahrten in einer von diesen primitiven Seemannshütten
geboren worden sein.«
    *
    ... Ein Jahrzehnt vor der
Niederschrift von Flateyjarbók hatte der Schwarze Tod in
Europa gewütet, und die Verbindungen zu Island waren so gut
wie abgebrochen. Die norwegische Sprache hatte bereits große
Veränderungen durchgemacht, wahrscheinlich konnte man dort
kaum noch etwas mit diesen Handschriften anfangen, die aus Island
kamen. Denn all diese Sagas wurden zu einem großen Teil
für den Export geschrieben, und sie waren wahrscheinlich eine
kostbare Handelsware, solange man in Island und Norwegen dieselbe
Sprache sprach. Die nordischen Länder hatten so etwas wie
einen gemeinsamen Buchmarkt, und Snorris Heimskringla war
vermutlich ein Bestseller in Norwegen, damals und auch später,
als man angefangen hatte, Bücher zu drucken. Das
Königsbuch von Jón Hákonarson kam einfach zu
spät auf den Markt und fiel dann jahrhundertelang der
Vergessenheit anheim ...

Sieben
    Grímur sollte Recht behalten, was die
Ärztin betraf. Sie hatten noch gar nicht lange gewartet, als
eine dunkel gekleidete Frau auf der anderen Seite des Friedhofs
erschien. Sie näherte sich auf dem kürzesten, aber nicht
immer geraden Weg zwischen den Gräbern
hindurch.
    »Pflichtbewusstsein folgt
keinen ausgetretenen Pfaden«, sagte Grímur mit einem
bewundernden Ausdruck in den Augen. »Jóhanna Thorvald
hat hier in der Gemeinde noch nie unnötig auf sich warten
lassen.«
    Jóhanna war um die
dreißig, eine blasse Frau mit Brille und dunklem Haar, das zu
einem Pferdeschwanz zusammengebunden war. Sie trug Jeans und einen
schwarzen Mantel. In der einen Hand hielt sie eine kleine Tasche,
in der anderen eine Papiertüte.
    »Vielen Dank, dass du gekommen
bist, meine liebe Jóhanna«, sagte
Grímur.
    Sie nickte ihnen knapp zu und fragte
dann: »Und was soll ich hier für euch
tun?«
    Die drei Männer schauten
einander an. Schließlich antwortete Grímur: »Du
kannst dir vielleicht mal den Mann in der Kiste da anschauen.
Nachsehen, ob er was in den Taschen hat oder ob er besondere
Merkmale aufweist. Irgendwas, was einen Hinweis darauf geben kann,
wer er ist.«
    »Das kann ich machen, aber
einer von euch muss das protokollieren.«
    Grímur schaute Kjartan an.
»Das dürfte wohl deine Aufgabe
sein?«
    »Ja, wahrscheinlich«,
antwortete Kjartan.
    Jóhanna entnahm der Tüte
einen dünnen Kunststoffumhang, den sie sich überwarf. Er
war mit einer Kapuze versehen, die sie fest unter dem Kinn
zusammenband. Zum Schluss setzte sie eine weiße Schutzmaske
auf und zog Gummihandschuhe an.
    »Bist du bereit?«, fragte
sie Kjartan.
    »Ja.«
    »Dann fangen wir
an.«
    Sie gingen in die Kirche. Kjartan
stellte sich fünf Schritte von der Kiste entfernt hin und zog
Notizbuch und Stift hervor. Jóhanna stellte die offene
Tasche auf einer Kirchenbank ab und machte sich daran, die Haken an
der Kiste zu öffnen.
    Als sie den Deckel abnahm, kamen ein
paar Fliegen zum Vorschein, aber sie waren schlapp und endeten bald
auf dem Kirchenfußboden. Das Mittel, das Grímur in die
Kiste gegeben hatte, war anscheinend äußerst
wirksam.
    Jóhanna stand lange
bewegungslos da und blickte schweigend auf den
Inhalt.
    »Ein Mann, der Kleidung nach zu
urteilen«, sagte sie schließlich.
    »Ja, das wissen wir«,
sagte Kjartan.
    Sie blickte ihn an: »Hier
spielt es überhaupt keine Rolle, was ihr wisst. Du schreibst
bloß alles nieder, was ich sage. Das hier wird mein Bericht
an den Bezirksarzt.«
    Kjartan schwieg betreten, weil ihm
jetzt erst klar wurde, dass die Ermittlung begonnen
hatte.
    Sie wandte ihre Blicke nicht von
Kjartan ab.
    »Ich kann mich aus
Gymnasiumszeiten an dich erinnern«, sagte sie
schließlich.
    Er zuckte zusammen und schaute sie
unsicher an, konnte aber wegen der Maske ihrer Miene keinerlei
Reaktion entnehmen. Er konnte sich nicht an ihr Gesicht erinnern.
Sie musste in irgendeiner Klasse unter ihm gewesen sein, aber er
traute sich nicht zu fragen. Sie schauten sich eine Weile in die
Augen, und dann konzentrierte sie sich wieder auf die
Kiste.
    »Corpus decompositum«,
erklärte sie.
    »Entschuldigung?« Kjartan
verstand das Latein nicht.
    »Die Leiche ist verwest«,
sagte sie dann.
    Das ist ziemlich offensichtlich,
dachte Kjartan, sagte aber

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